Liebesfalle Partnerbörse – der Dunkelbereich des Internet-Datings
Der ARD ist zu danken, dass sie Missstände beim Online-Dating anprangert, die hart an der Grenze zum Betrug vorbeischrammen – aber sie vergisst, dass die deutsche Online-Presse ganz hübsch daran verdient, teils nur notdürftig verdeckte Werbung für Online-Dating zu veröffentlichen. Und mit Zahlen sorgfältig umzugehen, scheint in der gesamten Presse ein Lotteriespiel zu sein.
Nahezu rechtsfrei –und dennoch ganz legal?
Manchmal kommt es mir so vor, als bewege sich die Dating-Branche in einem rechtsfreien Raum. So ähnlich sahen es wohl auch die ARD-Mitarbeiter Katharina Adami und Josef Streule. Sie legten den Finger tief in die Wunde der ohnehin angeschlagenen Branche und fanden teils Bekanntes, teils weitgehend Unbekanntes heraus.
Machen wir uns nichts vor: Kaum jemand in der Dating-Branche sagt ungeschminkt die Wahrheit, was man vielleicht noch als „Geschäftsinteresse“ interpretieren könnte. Aber zwischen „nicht ganz die Wahrheit sagen“ und „hinterhältig betrügen“ liegt so etwas wie ein juristisches Wespennest. Besser, man hält sich davon fern.
Love-Scamming war das Spektakulärste – aber es ist ein alter Hut
Beginnen wir mit den Betrugsaffären, bei denen große Summen fließen: Sie gehen immer häufiger von bandenmäßig organisierten russischen Kriminellen aus. Diese Form des Betrugs heißt Love-Scamming und geht so: Ein Bandenmitglied im fernen Russland gibt vor, eine einsame Frau zu sein und versucht, sich in die Seele eines deutschen Mannes einzuschleichen. Gelingt dies, wird der Mann veranlasst, erst kleine, dann immer größere Geldsummen nach Russland zu überweisen, die in allesamt in den Taschen der Gangster landen. Allerdings war dies alles nicht neu, und ich frage mich ernsthaft, warum das Fernsehteam dazu nach Yoshkar Ola (Russland) reisen musste, um die längst bekannten Vorfälle noch einmal wiederzukäuen.
Sexy Single-Börsen: wenn fast alle Mitglieder Männer sind
Interessanter waren da schon die Singlebörsen, die mit Frauen werben, aber so gut wie gar keine weiblichen Mitglieder haben. Hinter den weiblichen Profilen stehen (je nach Art des Portals) weibliche oder männliche „Moderatoren“, die alles andere als Moderatoren sind. In Wahrheit sind sie Animateure, die den Kunstgestalten auf der Webseite Leben einhauchen. Sie heißen im Jargon „IKM-Schreiber“, treten aber den Interessenten und Kunden gegenüber als sinnliche Frauen auf. Angeblich handeln sie „ganz legal“, denn mit den AGB bestätigt der Kunde ausdrücklich, dass er solche Kontakte wünscht. Interessant wird diese Tatsache aber erst dadurch (und das wurde im Beitrag der ARD nicht gesagt), dass auch große internationale Dating-Unternehmen diesen Passus in ihren AGB haben. Die Frage bleibt dann nur, wie hoch der Anteil dieser Falschprofile ist, und er kann zwischen 10 und 100 Prozent liegen – der Kunde ist stets der Gelackmeierte, weil es keine Transparenz gibt.
Auch Online-Partervermittler gehen bis an die Grenzen der Legalität
Von den Singlebörsen, die gar keine Mitglieder haben, wurde der Sprung zu Online-Partnervermittlern gewagt, die einen anderen Trick verwenden: das 14-Tage-Abo für einen Spottpreis – nur mit dem Hintergedanken, es in ein bindendes Abonnement über mehrere Monate umzuwandeln. Ob es nun legal ist oder nicht: Dahinter steckt der Trick, mit der Trägheit der Mitglieder Geschäfte zu machen, die nicht sofort nach Abschluss wieder kündigen.
Singlebörsen-Vergleich – misst die ARD mit zweierlei Maß?
Sind „seriöse“ Partnervermittler seriöser? Ja sicher, ein bisschen – außer, dass man erst einmal suchen muss, wie hoch die Preise eigentlich sind. Hier leistete (und leistet) der Singlebörsen-Vergleich nach wie vor Pionierarbeit: Dort liegen die Konditionen transparent aus, und das Portal gibt weit mehr Informationen her, als es die Betreiber selbst tun. Doch die ARD sah nur, wie eine Seite „an die erste Stelle“ kommt – und kritisierte dies sofort, weil „das Vergleichsportal heftig daran mitverdient“. Das ist zwar die Wahrheit, aber müßig – denn nahezu jede Online-Zeitung „verdient mit“, wenn neben einem Artikel über Online-Dating eine klickbare Anzeige platziert wird – hier sind die Zeitungsherausgeber also keinen Deut besser als der Singlebörsen-Vergleich. Und wenn man sich gewisse Online-Publikationen mit höchst seriösen Namen ansieht, dann werden ganze Seiten für Online-Dating-Unternehmen zur Verfügung gestellt, die in Wahrheit Anzeigen sind, kann man schon ins Grübeln über die Online-Presse kommen. – das Wort „Anzeige“ erscheint oft winzig klein in schwachem Grau am Seitenrand.
Gründliche Recherche in Russland – falsche Einschätzungen hier?
Die „gründliche Recherche“, die von der ARD behauptet wird, ist also zweischneidig – und auf wackligen Boden steht auch der Satz: „Gerade mal sechs Prozent der Suchenden finden über eine Partnerbörse zueinander.“ Das ist mit Verlaub, liebe Kollegen, verfälscht dargestellt. Denn erstens sind die „sechs Prozent“, die man sich offenbar bei der Bitkom auslieh, keine „belastbaren“ Prozentzahlen, und zweiten beziehen sie sich nicht auf Partnersuchende, sondern auf „Internet-Benutzer“. Zitat:
Für die Angaben zur Nutzung von kostenpflichtigen Dating-Services befragte das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag des BITKOM 1.063 Internetnutzer ab 14 Jahren.
Die Presse sucht sich stets die „passenden“ Zahlen für ihre Berichte
Ähnliche Ergebnisse geistern immer wieder durch die Presse – weil Journalisten nicht mehr gründlich nachfragen. Denn die Zahlen beziehen sich in der Regel auf Menschen „ab 14 Jahre“ und schließt alle Jahrgänge ein – auch solche, die bei der Eheschließung weder Internet noch Computer kannten.
Wie sinnlos die Nachplapperei der Presse ist, kann man an einer anderen Zahl sehen. Ständig wird wiederholt, es seien lediglich zwei Prozent der Paare, die sich im Internet kennenlernten. Dabei beruft man sich immer wieder auf eine Studie von Allensbach. Die größten Bocksprünge machte die Apothekenumschau mit Umfragergebnissen der GfK: Hier waren es 2008 noch 1,3 Prozent, und 2014 veränderte sich der Wert plötzlich auf nahezu 10 Prozent der Paare, die sich im Internet kennenlernten.
Deutlich höhere Zahlen gaben übrigens deutsche Standesbeamte an, als der Singlebörsen-Vergleich sie 2013 nach aktuellen Zahlen der Eheschließenden fragte – übrigens das erste Mal, dass verlässlichere Zahlen auf den Tisch kamen. Gegenwärtig wird deshalb angenommen, dass sich gegen 16 Prozent der aktuellen Ehen aus Online-Begegungen ergeben – Tendenz steigend. Zwar bleibt etwas unklar, wie viele Singlebörsen-Paare dabei sind, aber das ist zunächst unerheblich, denn er Anteil „sonstiger“ Internet-Begegnungen (beispielsweise aus sozialen Netzwerken) liegt bei etwa fünf Prozent, die sicherlich nicht alle eherelevant sind.
Hinweis: Der Autor unterhält Geschäftsbeziehungen zum Singlebörsen-Vergleich, die aber für die Einschätzung hier völlig unerheblich sind.