Schenken und beschenkt werden – Sex als Gegengeschenk?
Geschenke sind Botschaften, die dem Beschenkten zeigen sollen, wie groß die Zuwendung ist, die man ihm entgegenbringt. Gilt die schon im normalen sozialen Miteinander, so nimmt die persönliche Zuwendung im Bereich der Liebe einen besonderen Platz ein. Was für die Hure das „Geldgeschenk“ war, das man ihr zu Anfang übergab, war für die „leichtlebige Frau“ die Einladung zu einem großen Abendessen, zu einer besonderen Veranstaltung oder zu einem Urlaubswochenende.
Huren, Halbweltdamen und Bürgerinnen: Sex gegen Geschenke
Normalerweise gehörten zu diesen Arrangements Rituale, und nicht selten etwas Koketterie. Alles war eine Art Spiel: Die Frau wusste sehr gut, worin der Preis für die Einladung bestand, aber sie sah sich veranlasst, den Abstand zur Hure zu wahren. Ihre Gunst war nicht käuflich, also unterschied sie sich von den Frauen, die „notorisch“ Sex gegen Geld boten – das reichte völlig aus, um in eine andere Kategorie zu fallen.
Die „bürgerlichen“ jungen Frauen des 20. Jahrhunderts kannten noch ein ähnliches Ritual, das bis heute fortbesteht. Lädt der Herr gleich zu Anfang der Beziehung zu einem ungewöhnlichen Anlass ein, oder bezahlt er großzügig teure Restaurantrechnungen, so sahen sich viele Frauen veranlasst, sich mit Sex zu bedanken. Die Tradition der feinen Restaurants, „Damenkarten“ zur Verfügung zu stellen und Rechnungen diskret vorzulegen, zeugt davon, wie weit die Tradition verbreitet war (und bisweilen noch ist). Der Herr zahlt, die Dame weiß nicht, wie viel er bezahlt hat, vermutet aber, dass der Betrag sehr hoch war, was ihr schmeichelt.
Ein Zwang zum Gegengeschenk?
Selbstverständlich ergäbe sich daraus kein Grund, mit dem Mann die Nacht zu verbringen – und dennoch war es lange Zeit üblich. Geschenke, so wird in der bürgerlichen Familie gelehrt, erfordern Gegengeschenke, und da eine ähnliche Einladung für viele Frauen immer noch nicht infrage kommt, wurde eben das gegeben, über das Frauen nach Meinung der Männer reichlich verfügen: sexuelle Hingabe. Üblicherweise musste der Mann nicht einmal explizit danach fragen – das „Dankeschön“ in Form des feuchten Genusses war obligatorisch.
Was ist heute? Eine schwierige Frage. Denn nach wie vor gilt im bürgerlichen Selbstverständnis, das Geschenke mit Gegengeschenken zu vergelten sind, und immer noch gibt es die Konstellation „arme junge Frau lässt sich von reichem Herrn verwöhnen.“
Dating als Geldquelle für Frauen
Inzwischen ist das Prinzip: „Ich schenke dir Geld oder Geldeswert, du schenkst mir Sex“ bereits in die Dating-Branche eingegangen. Da bieten sich weibliche Sugar Babys an, die einen Sugar Daddy suchen, und männliche Goldsucher, die entweder auf eine spendable „Mutti“ hoffen oder sich als dauerhafter Gespiele eines wohlhabenden Herrn anbieten. Neuerdings wird auch ein kostenloser Traumurlaub im Tausch gegen sexuelle Gefälligkeiten angeboten.
Man hört in der Branche nicht gerne, wenn dabei von Prostitution die Rede ist. Denn wo kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Geld- und Sachgeschenken und Gunstbeweisen zu erkennen ist, das ist auch keine Prostitution. Und insofern unterscheidet sich die erotische Halbwelt heute doch nicht so sehr von der des ausgehenden 19. Jahrhunderts.