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Sex, Beziehungen und Denken

Erst denken? Erst lieben?

Erst denken? Erst lieben?

Ein Essay zum Denkprozess und zur Liebe

Wer denkt eigentlich, wenn er sich eine neue Liebe sucht? Vermutlich niemand. Es wär auch nicht logisch, wenn wir es täten. Denn unser Gehirn ist stinkfaul, und es hat eine gewaltige Aversion davor, in gewöhnlichen Alltagssituationen intensiv denken zu müssen. Wer einmal erlebt hat, wie das Gehirn an sich automatisch ablaufende Prozesse durch aktive Gedankenarbeit umsteuern muss, der wird wissen, wovon ich rede.

Denken ist ein Prozess, der erst einsetzt, wenn unsere übrigen Ressourcen nicht mehr ausreichen. Wenn alle automatischen Prozesse und erfolgreichen Gewohnheiten nicht mehr greifen, dann beginnen wir „innezuhalten“ und die Situation zu überdenken. Ganz ähnlich ist es übrigens, wenn wir erkennen, dass wir Probleme haben: Dann sind alle automatisierten Lösungen erschöpft.

Denken – JA – aber Nachdenken über uns selbst

Warum also sollten wie denken, wenn es um die Partnersuche geht?

Es gibt einige Gründe, die dafür sprechen: Wenn wir vor kurzer Zeit einen Partner verloren haben, müssen wir unser Leben „umsortieren“. Allerdings nicht nur, weil wir einen neuen Partner benötigen, sondern weil ein Teil unserer Strukturen im Eimer sind. Die müssen nun mal wieder aufgebaut werden – es hilft nichts.

Der zweite Grund liegt darin, dass wir unser chaotisches Selbst, das frei flottierend durch die Gegend gaukelt, vor der Partnersuche auf Kurs bringen sollten. Erzählen Sie mir jetzt bitte nicht, ihr „Selbst“ sei nicht chaotisch. Fragen Sie sich lieber, welche Teile davon zu einer Partnerschaft passen und welche nicht.

Sehen Sie, wir Menschen sind natürliche Wesen. Wir wollen Sex und wir wollen soziale Wärme, die über Sex hinausgeht. Erst wenn diese Grundbedürfnisse erfüllt sind, sollten wir uns den Luxus von Denkprozessen leisten, etwa die Sechs-Sechs-Sechs-Frage: Wie wird sich die beginnende Beziehung in sechs Wochen, sechs Monaten und sechs Jahren auswirken?

Die Natur lässt der Liebe den Vorrang

Es ist keineswegs Zufall, dass der Denkprozess der Liebe nachgeordnet ist. Das heißt: Erst lieben, lüstern und vögeln wir, dann halten wir inne und fragen uns: „Was wäre, wenn …?“, und blicken in die Zukunft. Freilich müssen hin und wieder bereits recht weit entwickelte Beziehungen beenden – aber davor bewahrt uns kein Mensch – nicht einmal ein Psychologe.

Vernunft ist nicht unbedingt ein Denkprozess

Selbstverständlich können wir die Vernunft gebrauchen. Vernünftig sein heißt, seine Grenzen ausgelotet zu haben und sie deshalb zu kennen. Es heißt nicht, den Sex, die Liebe und die Beziehung im Kopf zu konstruieren und dann in die Realität umzubauen.

Liebe: Nicht vordenken

Es nützt also gar nichts, auf „künstliche Realitäten“ wir etwa „vorab definierte Gemeinsamkeiten“ zu bauen. „Grieche sucht Griechin“ bringt bestenfalls einen verknöcherten Gymnasiallehrer und eine stadtbekannte Hure zusammen. „Gleich und Gleich“ zählt solange nicht, als man sich noch nicht bewusst wird, in was man „gleich“ sein möchte.

Vom den Sinn zum Verstand und zurück zum Sinn

Manchmal muss man seine Sinne verlieren, um zu Verstand zu kommen, und mal den Verstand, um zu Sinnen zu kommen. Wer die Liebe in der ganzen Tiefe und Wollust erleben will, sollte also den Verstand vorübergehend an der Garderobe abgeben. Erst aus der Liebesbeziehung heraus lässt sich dann der Verstand wiedergewinnen, indem man ein Leben zu teilen versucht. Im Grunde wissen das alle – doch wer handelt eigentlich danach? Ich höre immer wieder vom „passenden Partner“, und er wird so verkauft, als wolle man sagen: der „passgenau“ Partner. Was für eine dumme Idee! Es gibt kein wirkliches „passen“ in der Partnerschaft – es gibt nur ein umsichtiges „Anpassen“. Sie können es glauben oder nicht. Wenn sie klug sind, versuchen Sie einfach einmal, ob der Satz stimmt. Das ist besser als Glaube oder Verachtung.

Für das Bild wurde kein © gefunden, Montage zweier Karikaturen, ca. 1959

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