Wissenschaft hinterfragt – Weisheit geht anders
Alle reden von Wissenschaft – aber was meinen sie eigentlich damit? Psychologie? Soziologie? Ökonomie? Oder Scharlatanerie, Küchenpsychologie und Hellseherei neu verpackt?
Zwei Personen pro Quadratmeter oder lieber 5000?
Nehmen wir mal ein völlig „außerwissenschaftliches“ Beispiel: Wenn Sie in einer Gegend suchen, in der etwa zwei Menschen pro Quadratkilometer leben, dann haben Sie dort vermutlich geringere Chancen, einen Partner zu treffen, als in einer Gegend, in der 4468 Menschen auf dem Quadratkilometer leben – in bevorzugten Gebieten durchaus auch mehr. Aber natürlich ist dieses Beispiel ebenfalls „wissenschaftlich“ verwertbar. Vielleicht käme dabei heraus, dass es wesentlich wahrscheinlicher wäre, den „anderen“ Menschen auf dem Quadratkilometer zu treffen als alle 4468. Dennoch würden die meisten Menschen mir zustimmen, dass sich unter 4468 Menschen möglicherweise eher ein Partner finden lässt als bei einem „möglichen Partner“. Wenn Sie „wissenschaftlich“ noch tiefer schürfen, dann werden Sie finden, dass es eine ökonomische Grenze der Begegnungen gibt. Geht man über sie hinaus, übersteigt der Aufwand bei Weitem den Erfolg. Also doch lieber nach Nordfinnland auswandern?
Wissenschaft: Kein Partnermarkt sinnvoll bei großer Auswahl?
Ähnlich ist es mit der Marmeladen-Geschichte, die ja auch oft erzählt wird. Sie dient als „wissenschaftliches“ Argument dafür, dass man bei kleinen Singlebörsen leichter einen Partner findet als bei großen Börsen – auch diese Behauptung wird als „wissenschaftlich“ deklariert. Ökonomen wollen nämlich festgestellt haben, dass der Kunde umso weniger kaufbereit ist, je mehr Sorten Marmelade im Regal stehen. Allerdings wollten wir ja keine Marmelade kaufen, sondern einen Partner suchen – und der kann der Erste in eine Reihe von 80 „Sorten“ sein oder der Letzte oder gar keiner aus dieser Reihe.
Das Vorstellen – einfach, aber nicht wissenschaftlich
Kommen wir mal zu Partys. In England ist es immer noch üblich, dass die Gäste einander vorgestellt werden. Dadurch entstehen Gespräche, die es sonst nicht geben würde, und manchmal auch Kontakte. In Deutschland ist es weniger üblich, und also sieht man immer wieder frustige Singles herumstehen. Die Königsidee: was wäre, wenn wir sie einander vorstellen würden? So funktioniert das blinde „Matching“: Zwei Personen, die möglicherweise irgendwelche Gemeinsamkeiten haben, werden einander vorgestellt. Das beeindruckt natürlich ungeheuerlich. Alternativ kann man Speed-Dating einsetzen: Da stellen sich die Personen systembedingt selber vor, aber immerhin hat man einen Eindruck bekommen. Auch dies alles lässt sich in Wissenschaft einbinden und mit Wissenschaft kombinieren.
Der Zirkus der Persönlichkeitstests – feilschen um Zehntelpunkte?
Und nun geht es in den Zirkus: Der bietet bekanntlich etwas für nahezu jeden Geschmack. Das wusste auch Zirkusdirektor Phineas Taylor Barnum, der mit seinem Kabinett von kuriosen Menschen, Tieren und Sensationen jedem etwas bieten wollte. Nach ihm wurde dann auch der Barnum-Effekt benannt, auf dem die Mehrheit der astrologischen Aussagen beruht – aber auch „wahre“ Persönlichkeitsgutachten lassen sich so erstellen, und zwar ohne vorausgegangenen Test.
Nun kommt der Clou: Man lässt die Personen, die ein solches Gutachten wünschen, einen Test absolvieren – händigt aber allen (unabhängig vom Test) das gleiche Ergebnis aus. Wie viel Zustimmung werden diese Ergebnisse bekommen? Auf einer Skala der Wahrheit von von 0 bis 5 erreichen Sie in der Regel Werte um „vier“, was soviel wie „trifft gut zu“ bedeutet. Wozu also überhaupt Tests durchführen, wenn man durch mehr Präzision bestenfalls ein paar Zehntel Punkte gewinnen kann?
Diese Frage stellen Sie den Unternehmen, die im Online-Dating tätig sind, besser nicht, denn wenn dies so wäre, dann wären ihre Matching-Ergebnisse nicht viel wert. Selbst, wenn sich ein Unternehmen wirklich darum bemüht, das Beste aus den Test herauszuholen, bleibt der Effekt ja erhalten, nur heißt er jetzt: „Wenn das Dating-Unternehmen sagt, Inge passt zu mir dann ist dies zu 80 Prozent richtig.“
Man muss Sätze wie „Manchmal verhalten Sie sich extravertiert, leutselig und aufgeschlossen, manchmal auch introvertiert“ nur noch skalieren und bewerten, dann kommen die „Best Matches“ heraus.
Ein Versuch gefällig?
Ihre introvertierten Anteile, die wir zu 60 Prozent feststellen, benötigen einen Ausgleich, den wir in den Eigenschaften der eher aufgeschlossenen und leutseligen Inge fanden.
Dies Beispiel ist frei erfunden – fest steht aber, dass eine eher unverbindliche Aussage durch Bewertungen noch glaubhafter gemacht werden kann. Nun, ist das alles Wissenschaft? Oder eher das Verfahren, nach dem Orakel funktionieren?
Sie dürfen alles glauben, was Ihnen nachweisbar Erfolge bringt
Ich lächele dergleichen ab – aber das kann nur jemand, der Werbeaussagen nicht mit der Wirklichkeit verwechselt und der weiß, dass auch positive Motivationen einen wesentlichen Einfluss auf den Erfolg haben. Selbsterfüllende Prophezeiungen, freundliche Orakel zum richtigen Zeitpunkt und andere Effekte haben durchaus Wirkungen. Wenn wir diese Wirkungen richtig einzuschätzen lernen, können wir für uns einen kleinen Garten der erfüllbaren Wünsche anlegen – mit oder ohne „Wissenschaft“.
Bild: ca.1920. Das Bild zeigt einen Ausschnitt aus einem Zirkusplakat, das für „die beste Reiterin aller Zeiten“ wirbt.