Spielerei, Goldgräberei oder „alternative“ Partnersuche?
Haben wir bei der Liebe Pur etwas versäumt? Das könnte man jedenfalls glauben, wenn wir mal das Ohr auf den Boden legen und die Pilze wachsen hören, so wie „Viva.tv“:
Alternative Singleseiten mit kreative Ideen sprießen wie Pilze aus dem Boden und haben den eingestaubtem Konzept der ‚Singlebörse‘ den Kampf angesagt.
Je mehr Idealismus die Gründer haben, umso eher scheitern ihre Projekte
Das verstaubte Konzept macht manchen zu schaffen – wir wissen es. Vor allem den jüngeren Goldgräbern, die mit Dating-Applikationen den schnellen Dollar, das schnelle Pfund oder den schnellen Euro machen wollen. Dabei will ich keinesfalls bezweifeln, dass es auch ehrliche Gründer mit fantastischen Ideen gibt. Leider gilt hier die Formel: Je mehr Engagement, Idealismus und redliche Absichten, umso mehr Potenzial des Scheiterns beinhaltet ein Projekt. Die Online-Dating-Seiten sind die Fortsetzung von Ehemaklern und Heiratsanzeigen, transponiert ins 21. Jahrhundert. Das bedeutete: Man verkauft außer Realitäten auch Illusionen. Sie dürfen raten, womit mehr Umsatz zu machen ist.
Online Dating wird verseucht – durch Menschen, die „eigentlich“ gar nicht suchen
Seit Dating-Seiten und Dating-Applikationen im sogenannten „Mainstream“ angekommen sind, werden sie angeblich „vollends akzeptiert“. Die Wahrheit wird selten gesagt: Seit Online-Dating nicht mehr ungewöhnlich ist, quillt es von Leuten über, die kaum noch einen Partner suchen, sondern „irgendwie jemanden kennenlernen“ wollen.
Spielereien ohne Ziel – oder mit dem Ziel des „Abschleppens“
Parallel dazu hat sich bei jungen Leuten ein Trend eingeschlichen, den man auch zu Anfang des Internet-Datings beobachten konnte: Man spielt ein Spiel („Hot Or Not“), bei dem man Partner anklicken kann, ohne tatsächlich an eine Beziehung zu denken. Nicht völlig zuletzt: Bei vielen neuen Applikationen geht es ums Abschleppen, um Sex-Kontakte und um durch die AGB legalisierte Tricksereien, die mit Dating nichts zu tun haben.
Sind das etwas die „alternativen Ideen“?
Auf „Viva.tv“ lese ich, was gemeint ist: zum Beispiel Grinder. Die „App“ ist zwar ausschließlich für Homosexuelle und auch eher eine „Abschlepp-Applikation“, ist aber andererseits ein Erfolg. Chapeau? Nein, eigentlich eher schon ein reichlich abgetragener Hut. Heteros sind da so merkwürdig, denn insbesondere die Hetero-Frauen fürchten sich davor, einfach mal so mit dem bösen Wolf in den Wald zu gehen. Deswegen hatten vergleichbare Hetero-Applikationen nie Erfolg. Oder vielleicht doch?
War da nicht Tinder? Das gibt es tatsächlich, und es ist erfolgreich in dem Sinne, dass es wie wild „heruntergeladen“ wird. Hin und wieder hört man, dass es als Partygag benutzt wird und der Betreiber sendet pausenlos Sensationsmeldung aus. Bekanntlich verbindet Tinder über FACEBOOK-Profile – und bessere Ideen hat keiner der neuen App-Betreiber. War da nicht noch ein Problem? Ja, erstens, wie man damit Geld verdienen kann, und zweitens, dass der Markt schon jetzt hackedicht ist. War da nicht noch was? „Viva.tv“ ignoriert BADOO – der wäre eigentlich hervorzuheben, weil dort bereits Geld verdient wird. Der Vollständigkeit halber: „Charm“ wird als Handy-App erwähnt, und OK Cupid – beide sind nicht gerade Renner in Deutschland.
Klar, dass man bei „Viva.tv“ über „Im Gegenteil“ gelesen hat – das haben wir auch. „Im Gegenteil“ ist ohne Zweifel eine kreative Idee – vorerst aber ohne Potenzial. In diesem Fall „leider“, denn viele gute Ideen gehen heute im FACEBOOK-Wahn unter.
Nun ja – und wo bleiben nun die sensationellen Kracher? Eine Seite für Homosexuelle, zwei fragewürdige Teenager-Spielereien, eine tolle, aber voraussichtlich wirtschaftlich nicht tragfähige Idee? Und bis auf „im Gegenteil“ alles US-Unternehmen?
Partnersuche oder Varietéshow?
Knochenhart und absolut nüchtern: Das sogenannte „Dating“ ist in Wahrheit ein Politikum: Es soll Beziehungen und Ehen bilden. Durch manche Betreiber, seien sie etablierte Unternehmen oder Newcomer, ist die Partnersuche zu einer Varietéshow geworden, in der Illusionen vermarktet werden. Das alleine wäre noch kein Schaden – schließlich liebt das Volk Illusionen. Das Problem ist viel mehr, dass ein Großteil der Unternehmer, aber auch durchaus Journalisten und sogar schon Wissenschaftler, den Bezug zur Realität der Partnersuche verloren haben.
Klar brauchen wir eine „innovative“ Partnersuche, und ebenso klar können dabei Medien eine wesentliche Rolle spielen. Aber wir benötigen auch eine effektive, am Ursprung orientierte (oder wir man heute sagt: „zielführende“) Partnersuche, die mehr kann als ein paar „Bumsbeziehungen“ zu erzeugen.
Ohne allzu zynisch sein zu wollen: Dating-Apps verhindern die „zielführende“ Partnersuche eher, als dass sie diese fördern. Hier schnell nur ein Satz zur Begründung: Partnersuche setzt die ernsthafte, direkte und unmittelbare Beschäftigung mit einem Menschen voraus- die meisten Apps fördern eher das Gegenteil.