Meine Irrtümer: Großstadtpflanzen und Etepetete-Frauen
In „Tacheles“, also dem ausdrücklich so definierten manchmal recht drastischen Kommentarteil der Liebe Pur, sage ich, was ich denke. Im übrigen, kritischen angelegten Teil versuche ich all das zu sezieren, was die Unternehmen, die Wissenschaftler und manche Journalisten uns einflüstern.
Tatsächlich habe ich zumeist recht behalten – doch wann habe ich mich geirrt?
Großstädte sind nicht Deutschland
Einmal ist es die Großstadt und ihn ihr der weltläufige, wirtschaftsgebildete Mensch, den ich viel zu sehr im Auge hatte. Diese Menschen stehen ausgesprochen im Fokus der Dating-Branche, und sie bestimmen auch einen wesentlichen Teil des städtischen Lebens. Allerdings ist ihre Auffassung zur Partnersuche und Partnerwahl extrem. Wenn ich heute von der „anspruchsvollen Akademikerin“ spreche, dann ist sie nicht das, was was sie in den 1960er Jahren war, nämlich eine Ärztin oder Rechtsanwältin. Heute kann es eine Betriebswirtin sein, die als Sachbearbeiterin tätig ist, die aber dennoch nach „höheren Weihen“ bei der Partnersuche strebt – vorausgesetzt, sie ist eine Großstadtpflanze.
Der Blick auf die Großstadt vernebelt die Sicht für die Wünsche, aber auch die Chancen, die die Menschen in Deutschland an die Partnersuche haben. In manchen Städten gibt es maximal ein paar Dutzend Singles, die mit 30 noch auf aktiv auf dem Partnermarkt sind, und man kann davon ausgehen, dass sich einige davon schämen, es zu sein. Zudem herrschen oft andere Lebensbedingungen als diejenige, die ich als „Standard“ ansehen würde: In der Stadt, in der ich jetzt lebe, werden mehr Kinder unehelich geboren als ehelich, und dies wird als ganz normal empfunden.
Frauen über 40 sind nicht wirklich etepetete
Ein zweiter Punkt, in dem ich mich irrte, ist der Gedanke, Frauen über 40 wären sich nicht bewusst, dass Sex ein wesentlicher Teil der Partnersuche und Partnerwahl wäre. Ich entnahm diese Auffassung aus Beratungsgesprächen, Befragungen und Büchern. Sie liefen alle auf einen Satz hinaus: „Diese schrecklichen Männer wollen immer nur Sex, und ich will eine Beziehung.“ Die Steigerung davon ist: „Diese dreisten Männer nutzen uns Frauen (über 40) emotional nur aus.“
Inzwischen weiß ich: Ich habe auf ein Segment extrem einseitiger, teils äußerst konservativer und gelegentlich weltfremder Frauen geschaut, die leider vom Online-Dating angezogen werden wie von einem Magneten. Daran ist sicherlich die Werbung der Online-Dating-Agenturen nicht ganz unschuldig, die ja oft im farblosen Gewand der Etepetete-Partnersuche daherkommen.
Ob Partnersuche bedeutet, sich beim Dorffest schwängern zu lassen und dem Partner dann nahelegt, doch zusammenzuziehen, oder ob sie eine fünfjährige Suchzeit mit Prunkhochzeit sein sollte?
Wissen Sie, das ganze dumme, elitäre Geschwätz darüber, wie sich die Menschen gefälligst zu Paaren haben, ist nichts als eine riesenhafte Seifenblase. In Wahrheit sind nahezu alle Singles sinnlich bedürftig und schämen sich gelegentlich, es zu sein. Und Frauen über 40? Sie sind besonders bedürftig und schämen sich dessen oft mehr als erforderlich.
Ich sage dazu oft: 1981 erschien das Buch „Das unsichtbare Geschlecht“ in einem Nischenverlag – es behandelte das Leben von Frauen über 40, die in jeder Hinsicht als „vergraut“ angesehen wurden. Heute stehen Frauen über 40 im Zenit ihres Lebens und strotzen vor Lebenskraft. Nun waren die Frauen vor 30 Jahren keinen „anderen“ Frauen, sondern sie sahen sich selbst anders und wurden anders angesehen. Daraus ergibt sich aber auch: Eine Frau ab 40 kann heute alles tun, was sie will – erotisch, emotional oder sexuell – und viele tun es schon.
Ja sicher – ich kann mich auch darüber irren. Aber diesmal bin ich sicher: Ich habe den Miesepeterinnen vor Kurzem noch eher geglaubt als den Optimistinnen. Ich hoffe nur, dass in der Praxis nicht allzu viele weibliche Misantropen im „seriösen“ Online-Dating landen.