Bedingungslose Liebe – ja, bitte
Angeblich haben wir alle ein Verlangen nach der bedingungslosen Liebe … und nicht nur Helen, die Heldin des Romans „Feuchtgebiete“, der jetzt verfilmt wurde. Gesagt hat es die junge Schauspielerin Carla Juri, und sie lobt die bedingungslose Liebe. Nach ihrer Ansicht wird die Romanheldin zu einer starken Persönlichkeit, weil sie „ohne eine Spur von Selbstmitleid und falschem Stolz“ (Zitat) darum kämpft, bedingungslos zu lieben und geliebt zu werden.
Möglicherweise ist Carla Juri eine der letzten Vertreterinnen dieser Ansicht. Wer sich auf dem Partnermarkt umsieht, wird schnell herausfinden, dass kaum eine deutsche Frau „bedingungslos“ liebt. Dabei wäre es so schön, einmal wieder Frauen zu begegnen, die offen, fröhlich und sinnlich sind und in deren Augen nicht hundert Fragezeichen blinken.
Liebe heißt nicht, sich die Schamhaare zu rasieren
Liebe –ich schrieb es schon häufiger, bedeutet nicht, sich die Schamhaare zu rasieren, den Körper nach Duschgel und Parfüm duften zu lassen, das blitzweiße Spitzenhöschen sorgfältig über die Beine gleiten zu lassen. Liebe bedeutet nicht, Test auf Übereinstimmung bestanden zu haben oder den Bildungsschluss des Partners nachgeprüft zu haben. Wenn Liebe heutzutage über Punktesysteme (Matching-Punkte) und „verdeckten Ermittler“ (Ghostwriter/Datingassistenten) gesucht wird, dann ist dies im Grunde nicht als eine Verballhornung der Liebe. Es ist, wie ich anderwärts schrieb, die Betontrasse zur Liebe, die an den Feuchtgebieten vorbeiführt.
Penisse, Vaginen, Sperma und geiles Suhlen
Nur – im Grunde genommen führt keiner der Wege zur Liebe wirklich über Mautstellen, Betontrassen und Caféhaustische. Sie sind sozusagen die Hürden, die leider überwunden werden müssen. Die Liebe führt in letzter Konsequenz über Zungen in Mündern, Penissen in Vaginen und anderwärts, Sperma in Kondomen, in Leibern und auf Leibern. Das Gefühl, dies alles zusammen getan zu haben, sich gemeinsam gesuhlt zu haben, der Lust freien Lauf gelassen zu haben – oder eben: sich bedingungslos einander hingegeben zu haben. Viel würden sagen: einander ohne jede Bedingung animalisch und rückhaltlos geliebt zu haben.
Oh, ich weiß – dieser Begriff der Liebe geht Ihnen nicht weit genug. Sie wollen jetzt einwenden: „Aber die wirkliche Liebe, die große Liebe, die unendlich tiefe Liebe, die wird doch immer und überall bedingungslos gegeben“.
Reine Liebe ist nicht die Liebe, die wir im Alltag finden
Wenn „reine Liebe“ bedingungslos gegeben wird, warum werden dann an sie so viele Bedingungen geknüpft, bevor Frauen sie uns schenken – und zwar weitaus mehr Bedingungen als an todschicke Affären gestellt werden? Wenn die reine Liebe bedingungslos gegen wird, dann darf sie auch an keine Erwartung gebunden sein. An kein „ich liebe dich, wenn du …“ und an kein „ich entziehe, dir die Liebe, falls du …“. Denn bedingungslose Liebe heißt, die Liebe nicht an Bedingungen zu knüpfen. „An keine und zwar an keine Einzige“, wie ein Autor in der Süddeutschen Zeitung schrieb. ergänzt er:
Bedingungslos lieben bedeutet die eigene Liebe nicht an Bedingungen zu knüpfen. An keine und zwar an keine einzige. Wer bedingungslos liebt, stellt keine Forderung und besitzt also keine Erwartungen.
Der alltägliche Kuhhandel mit der Liebe
Ich habe dann und wann eine Frau getroffen, die selbstlos hingebungsvoll und ohne Erwartungen an ihre Partner liebte. Es ist einfach schön, einer solchen Frau zu begegnen, ganz gleich, welche Art von Beziehung man zu ihr unterhält. Diese Frauen unterscheiden sich wohltuend von jenen, die erst fordern, bevor sie irgendetwas geben. Oder all diese fiesen Trickserinnen, die zunächst einmal vorgeben, bedingungslos zu lieben, um sich dann nach und nach immer teurer zu verkaufen. Bei der körperlichen Liebe mag man dieses Verhalten noch mit einem Lächeln wegstecken. „Ach, lass sie es doch versuchen“, sagt man dann oder, „sie eist eben ein bisschen auf ihren Vorteil bedacht – das kann man auch positiv sehen.“ Wir haben uns als Männer angewöhnt, derart politisch korrekt zu sein, dass wir diesen Satz nicht mehr in den Mund nehmen: „Sie ist eben eine Hure, nur dass sie kein Bargeld nimmt.“ Indessen – es ist ja nicht nur die körperliche Liebe, die uns Männer bewegt. Wir wollen zumeist als ganze Person angenommen werden, mit unseren guten wir mit unseren schlechten Eigenschaften – eben bedingungslos. Eine Frau, die einen Mann bedingungslos akzeptiert, als ganzen Menschen in ihr Herz schließt und sich niemals beklagt?
Die Suche nach Liebe ist nicht die Suche nach einer Ehe
Möglicherweise wäre ein solches Verhalten nicht einmal erwünscht, wenn wir nichts als feste, unverbrüchliche Beziehungen suchen würden. Beziehungen brauchen Reibungspunkte, um sich zu entwickeln. Aber das Leben besteht nun wahrhaftig nicht aus der verdinglichten Suche nach einem ersten Eheobjekt. Der Wunsch, zu lieben und geliebt zu werden, bedingungslos Sperma aufzunehmen oder den Partner weinend im Arm zu halten, weil ihm etwas nicht gelang, kann durchaus frei von Forderungen sein.
Sich benutzen lassen, wenn man es wirklich will
Freilich: Wer bedingungslos liebt, läuft Gefahr, genutzt zu werden, falls er dies für eine Gefahr hält. Doch kann es nicht auch wundervoll sein, genutzt zu werden und sich bedürfnislos hinzugeben? Machen wir die Gegenprobe. Wer nicht bedingungslos liebt, verhandelt in Wahrheit mit seinem Partner über die Bedingungen, zu denen Körper und Emotionen verfügbar werden. Wer mag, kann diesen Handel eingehen, aber niemand garantiert, dass wir glücklich werden, wenn wir Körper und die Seele am Parthermarkt verhökern. Immer bleibt der kleine Haken im Fleisch hängen: Er hätte angesehener, mächtiger, reicher, gebildeter, sozialer oder der Teufel weiß was noch sein können.
Bedingungslos lieben? Ja, bitte. Es ist sinnvoll, sich einfach hinzugeben. Und möglicherweise ist es emanzipierter, als eine Liste mit an andere gerichtete Erwartungen mit sich zu führen, die im Geiste abgehakt wird.
Wenn wir uns dennoch wünschen, einmal im Leben einer Frau zu begegnen, die tatsächlich bedingungslos liebt, so liegt dies vielleicht daran, dass wir zu oft zu schnell mit Wünschen und Vorstellungen zugeschüttet werden. Eine starke Persönlichkeit kann jederzeit bedingungslos lieben, weil sie sich frei entscheiden kann, die zu tun oder zu unterlassen. Nur die Schwachen benötigen das Gerüst einer Tabellenkalkulation, um ihre Fragebogen an die Partner abzuhaken.
Foto: © 2013 by Liebesverlag.de (Wandbild „Kleiner Olymp“, Bremen).