Übersext, untervögelt und falsch programmiert
Was erwarten jungen Menschen von festen Beziehungen? Eines mit Sicherheit – wunderschöne, sinnliche, romantische und kuschelige Nächte mit ganz viel Sex.
Da haben wir es – das Szenario, das wir aus dem Bürgertum hinübergerettet haben, und das so paradox ist, wie nur etwas sein kann. Die wilde, zügellose Leidenschaft zweier Menschen ersteht nicht aus der Harmonie beider heraus, sondern aus der animalischen Lust daran, zu vögeln und gevögelt zu werden. Lassen Sie sich doch bitte nicht bluffen: Die Zeiten mögen sich ändern, aber Mutter Natur sorgt schon dafür, dass die Begierde über die Vernunft siegt, wenn sich ein neues Paar gegenseitig die Kleider vom Leib reißt und einander tagelang durchvögelt.
Leidenschaft und Stetigkeit gehen auf Dauer ebenso wenig zusammen wie Wollust und Verständnis. Sicher flackert die Leidenschaft immer wieder auf – aber alles ist nicht mehr so, wie es zu Anfang war. Die wichtigste Phase zur „Normalehe“ ist, den anderen nicht mehr zu verherrlichen, sondern realistisch zu sehen – und ihn doch weiterhin zu lieben.
Frauen beklagen sich über zu wenig Sex in der Beziehung
Alle Ratgeberredaktionen wissen von diesem Phänomen: Waren es früher die Männer, die sich über lustlose Frauen beklagten, so sind es jetzt Frauen, die sich von ihren Männern sexuell nicht genügend beachtet werden. Nach drei bis fünf Jahren ist die Luft raus aus der Sex-Beziehung: Die Hoffnung auf ekstatischen „Sex in der Ehe“ hat sich als die Illusion erwiesen. Nur war die bereits programmiert, denn inzwischen ist ein Vertrauensverhältnis entstanden, in dem der Sex eher eine untergeordnete Rolle spielt. Erinnern wir uns bitte noch einmal an das Bürgertum: Hier war die Ehe nicht als Institution für grenzenlose Leidenschaft gedacht, sondern um der Tochter einen neuen Versorger zu bescheren. Leidenschaft im heutigen Sinne haben viele Frauen der damaligen Zeit niemals erlebt. Sie gaben sich dem Mann hin, weil es zur Ehe gehörte – nicht aus Wollust.
Heute erwarte Frauen, dass sie ständig erotisch bespielt werden, wenn sie mit einem Mann zusammen sind – und Männer verlieren nach und nach das Interesse an der Frau, mir der sie zusammen sind. In dieser Situation kriseln die meisten Beziehungen, und beide suchen nach Auswegen. Solang dies jeder für sich tut, entstehen die üblichen Seitensprünge, die keineswegs auf Männer beschränkt sind.
Übersext? Nur wenn Sex zu wichtig genommen wird
Woher es herrührt, das wir übersext sind? Möglicherweise dadurch, dass Sex inzwischen als erstrebenswerte Handlung als solche gilt. Das heißt, wir suchen nach Sex statt nach einem schönen Leben zu zweit, nach Wollust statt einer gemeinsamen, zufriedenen Zukunft. Selbst Ärzte sagen uns heute, Sex sei ein Menschenrecht, und wir sollten es um des Himmels willen doch auch wahrnehmen. Das mag alles sein – aber Lust ist nicht Sex, und Sex ist nicht Lust. Wer Durst hat, soll trinken – und wer Lust hat, darf gerne auch vögeln, wenn er einen geeigneten Partner dafür hat. Aber völlig unsinnig ist, „Sex an sich“ zu suchen. Wir sind übersext, weil wir glauben, dass Sex, also die Erfüllung einer relativ primitiven Lust, ein Lebensziel sein kann. Wer Sex so sieht, ist zwangsläufig ständig „untervögelt“.
Sex an sich nützt für eine dauerhafte Beziehung nur wenig
Niemand wird bestreiten, dass es wirklich wundervolle Momente der Lust gibt, und manche dieser Momente irgendwie eng damit verbunden, zu vögeln oder gevögelt zu werden. Aber wir liegen völlig daneben, wenn wir „Sex an sich“ als dauerhaftes Beziehungselement ansehen. Man kann beinahe sagen: Ist das Leben von sexuellem Verlangen geprägt, so ist es nicht gut, eine feste Beziehung einzugehen. Ist es hingegen von Liebe geprägt, von dauerhafter, gelegentlich gar von selbstloser Liebe, dann können wir mit Fug und Recht davon ausgehen, dass eine Beziehung für uns gut und richtig ist.
Eine Beziehung, die durch und durch von Liebe, Lust, Leidenschaft und Sex beflüglet wird, ist eben eine Illusion. Wer das „schöne Leben auf rosa Wolken“ von der Partnerschaft erwartet, der ist entweder auf die Kitschliteratur oder auf den Trick von Mutter Natur hereingefallen, das Hirn mit Liebesdrogen vollzudröhnen.
Geschrieben nach der Lektüre diese aktuellen Artikel in der FAZ: „Sex ist auch nicht mehr das, was es mal war.