Ehe ist nicht, was Sie dachten – Kennenlernen auch nicht
In diesem Artikel nehme ich manchmal direkt, manchmal indirekt Bezug auf einen Artikel von Zoe Hicks, einer zertifizierten Ehe-und Paartherapeutin. Er erschien in „Your Tango“. Die Beurteilungen weichen gelegentlich etwas voneinander ab, sodass Sie Ms. Hicks Meinung besser im Original lesen. Meine eigenen Betrachtungen für Paare, die sich heute im Internet oder anderwärts kennenlernen, habe ich im jeweils zweiten Absatz kursiv gesetzt.
Erste Phase: Schwärmerei
Oh, das ist genau das, was sie in schon in tausend Liebesschnulzen gelesen, gesehen und gehört haben. Sie lernen jemanden kennen, glauben, ihn zu lieben und dann schwärmen Sie erst einmal, wie toll sie/er ist. Das Ganze ist – Illusion, aber eine Gute: Mutter Natur will, dass sie beide kopulieren. Dazu ist ihre jedes Mittel recht: Drogen ins Hirn pumpen, die die Kraft des Verstandes partiell außer Kraft setzen. Die nähe zwischen Verliebtsein und Heroingenuss lässt sich nachweisen, sagt Zoe Hicks und weist auf Studien hin, in denen das Gehirn sozusagen während des Orgasmus „beobachtet“ wurde. Die Veränderungen beim Sex waren zu 95 Prozent identisch mit denen bei Verwendung von Heroin. Ob man nun wirklich „Sex hat“ oder nicht, scheint dabei keine große Rolle zu spielen. Verliebtheit macht oft blind für die Realität, wie der Volksmund weiß – und ob bewiesen oder nicht – nahezu jeder hat diesen Zustand schon einmal erlebt. Bis zu einem gewissen Grad leistet der Geist noch Widerstand, dann lässt man sich fallen und suhlt sich in Gefühlen.
Das Kennenlernen ist also ein häufig erfolgreicher Betrugsversuch der Natur, um unserer Bedenken auszuhebeln – nichts weiter. Dass wir diese Phase später romantisieren, gehört zur mesnchlichen Kultur und hat nichts mit den Tatsachen des Kennenlernenes zu tun.
Zweite Phase: Landung – oder Bruchlandung?
Aus dem unerwähnten Artikel zitiere ich „Psychology Today“:
Eines Tages wachst du auf und denkst, du hast die falsche Person geheiratet. Das ist der Tag, an dem deine Ehe wirklich beginnt.
Diese Tatsache kann, muss aber nicht während der Ehe stattfinden. Bereits nach tagen, Wochen oder Monaten kann der Rausch nicht mehr beliebig reproduziert werden, und der Alltag gewinnt die Oberhand. Man sieht die ersten Krisen aufkommen und man überlegt sich, ob man sie durchstehen will. Dadurch kommen die berühmten „Sechs-Monats“-Affären zustande. Manche Psychologen sagen: Das muss so sein – die ersten Krisen sind die ersten Bewährungen. Andere sagen: Da haben sich dann wohl die Falschen getroffen. Der zweite Satz ist zumindest fragwürdig. Wenn es die „Falschen“ gäbe, müsste die Psychologie auch wissen, wer die „richtigen“ sind – das weiß sie aber nicht.
Paare, die sich im Internet oder sonst wo kennengelernt haben, sollten diese Phase als Chance nutzen. Klar: Manchmal geht es wirklich nicht – aber manchmal zeigt sich eben auch nur, dass unser Leben nicht aus einem ewigen Verbleiben auf Wolke Sieben entspricht.
Dritte Phase: Die Liebe eingraben
Nach längerer Zeit – vielleicht schon nach einem Jahr, vielleicht nach sieben Jahren, weiß das neue Paar, dass „Zusammenleben“ auch noch andere Aspekte hat als Lust, Freude, Hoffnung und Zukunft. Das „andere leben“ also das Leben außerhalb der Beziehung, tritt in die Zweisamkeit hinein, und der Alltag wird zum Thema. Die Liebe wird weitgehend begraben – und Sex? Na ja, den praktiziert man eben. In dieser Zeit überlegt sich das Paar möglicherweise, die Liebe neu zu beleben – oder das soziale Leben. Paar ohne Kinderwunsch entdecken ihre Sinnlichkeit neu, und Paare, die Kinder wollen, beginnen, sich dafür Nester zu bauen.
Veränderung sollten Paare als Chancen begreifen, nichts als Bedrohung. In dieser Zeit sind Affären leider äußert wahrscheinlich, und möglicherweise ausgesprochen gefährlich. Die neuen, spontanen und selbstverständlich wieder unüberlegten Gefühle zum Seitensprung führen oft zu schmerzlichen Scheidungen.
Vierte Phase: Ein zweiter Frühling
Sobald man die Schrullen des Anderen ebenso liebt wie die eigenen, ist ein Teil der Beziehung gewachsen. Äußerlich sind wirtschaftliche und soziale Interessen wichtig geworden, sie stabilisieren ebenfalls die Beziehung. In dieser Phase mag es auch noch zu Affären kommen, sie werden aber nicht mehr so ernst genommen und vor allem zumeist erfolgreich verschwiegen. Viele Paare beginnen nun, sexuell miteinander zu experimentieren – allerdings nur dann, wenn es mindestens einer von beiden anregt.
Diese Zeit ist einfach eine wundervolle Chance für Paare. Wer sie durchleben will, muss einige Jahre mit demselben Partner verheiratet bleiben. Lust voll zu sein, wenn man will, die Wolken der Liebe noch einmal aufzusteigen sehen, sich darin tummeln und dann sanft wieder zur Erde zurückzukehren – das gibt dem Paar ein neues Lebensgefühl.
Am Ende Liebe?
Darum geht es eigentlich – um Liebe. Zoe Hicks datiert sie um das fünfte Jahr der Beziehung herum. Das Geheimnis: Sich miteinander wohlzufühlen.
Liebe ist der eigentliche Kitt der Ehen und Beziehungen – wenn man von sozialen und wirtschaftlichen Bindungen einmal absieht. Er liebt sie – sie liebt ihn. Sie lächeln einander an, und wissen, was sie denken. Sie haben Lust aneinander, aber sie fordern nichts voneinander. Oh ja – und sie werden älter. Die Höhepunkte des Lebens, die Zugleich Chancen und Risiken sind und die ständig neue Veränderungen bringen, liegen heute zwischen geschätzten 30 und 55. Danach versuchen Paare zumeist, sich nunmehr als eine schöne Zeit zu gönnen. Möglicherweise könnte man dies dann „die wahre Liebe“ nennen.