Partnersuche blüht weiter – „Dating“ geht langsam ein
Der Begriff „Dating“, vor allem aber Online-Dating, verschwindet immer mehr aus der Presse. Woran könnte es liegen? Ich habe versucht, es zu analysieren. Es wird sie überraschen – Online Dating ist an der Grenze des gesellschaftlich Zumutbare angekommen, die Presse langweilt sich über Pressemitteilungen, die Unternehmen machen in Selbstgefälligkeit, und der Partnersuchende nimmt entweder hin, was er antrifft oder schreit lautstark auf. Doch Schritte zur Vernunft sind nicht erkennbar – weder auf der einen noch auf der anderen Seite. Wenn Sie dies für eine Provokation halten, dann sind Sie herzlich zur Diskussion eingeladen.
1. Online Dating hat keinen Neuigkeitswert mehr
Online Dating ist in die Jahre gekommen. Über 10 Jahre Online-Dating in Deutschland hat alle Informationen, die es darüber geben könnte, stumpf gemacht. Hinzu kommt: Niemand in der Branche ist wirklich innovativ.
2. Online Dating ist in Verruf gekommen – auch der seriöse Teil
Der Kampf um Marktanteile, die Vorgehensweise beim Verkauf undurchsichtiger Abonnements und der Vorwurf, mit Animateurinnen zu arbeiten, haben Online Dating Unternehmen in den Verruf der „Geldmacherei“ gebracht. Ob diese Vorwürfe immer haltbar sind oder nicht – die Branche hat Schaden genommen.
3. Teile des Erotik-Online-Datings stehen unter Rotlichtverdacht
Mindestens unmoralisch, manchmal aber auch im Verdacht, Rotlicht-Aktivitäten zu unterstützen – das ist der Graubereich zwischen den unverbindlichen „Flirtbörsen“, den Casual Dating-Anbietern und den offenkundigen Sex-Börsen. Die Frage, die gegenwärtig viele Unternehmer beschäftigt: Soll man das an sich lukrative Geschäft mit erotischen Sehnsüchten integrieren, auslagern oder gar abstoßen?
4. Mobile Dating hat kaum eine Basis
Mobile Dating ist interessant – aber im Moment ausschließlich für Homosexuelle und flirtwillige, abenteuerlustige junge Heteros, die sich amüsieren wollen. Tatsächlich fehlt Mobile Dating die seriöse Basis. Es gilt mit Recht als „hook-up“-Anwendung.
5. Die Realitäten werden ignoriert – auch von den Suchenden
Es ist kein Wunder, dass Unternehmer im Dating-Bereich Illusionen schüren. Sie leben zu einem großen Teil davon, Wunschträume zu verkaufen, so, wie es schon ihre Vorgänger, die Heiratsmakler und Partnerinstitute, praktizierten. Gut, das tun auch die Produzenten von Kosmetika, und wer will es ihnen verdenken, dies zu tun?
Doch inzwischen gibt es eine bedeutende Gruppe von Suchenden, die der Illusion erliegt, man können per Online-Dating seine „Ansprüche“ durchsetzen. Sie fallen in der Regel tief und landen hart. Inzwischen steuern sogar einzelnen Unternehmer dagegen – zwar nicht in der Werbung, aber in Stellungnahmen gegenüber der Presse und sonstigen Veröffentlichungen.
6. Dating-Tipps sind zur Farce geworden
Die meisten der seither veröffentlichten Dating-Tipps sind entweder grundsätzlich falsch, zumeist völlig veraltet, oder unbrauchbar, weil aus den USA importiert. Wer ihnen folgt, gerät in Konflikte mit der Realität. Der Partner hat ein Recht darauf, zu wissen, wer vor ihm sitzt – darum geht es beim ersten Date, nicht um Spielchen mit der Eitelkeit und vornehme bürgerliche Konversationsregeln.
7. Partnersuche geht auf ihre Grundlagen zurück
Versuch und Irrtum heißt das Spiel, das einer freien und unabhängigen Partnersuche zugrunde liegt. Diese simple Tatsache wird oft vergessen. Dabei ist nicht nur die Frage „wer passt zu mir“, die heute vielfach überbewertet wird, sondern vor allem die Frage: „Wohin will ich eigentlich im Moment, in einigen Monaten und in vielen Jahren?“ Partnersuche heißt nichts weiter, als über eine gewisse Periode mehr Menschen zu treffen und auszuloten, wer sich wozu eignen könnte. Die heutige Gesellschaft lebt in der kühnen Annahme, der Partnersuchende wüsste, worauf er selbst hinauswill. Das könnte falsch sein – denn viele Partnersuchende finden erst während des „Spiels mit den Möglichkeiten“ heraus, was ihnen wirklich gefallen könnte.
Fazit und Zukunft von Online Dating
Wutbürger und Nörgel-Konsumenten
Ähnlich wie in der Politik, wird auch in der Wirtschaft, also bei den Dating-Unternehmen, am Bürger und Partnersuchenden „vorbeigedacht“. Es geht inzwischen ausschließlich um Geldgeber, Aktienkurse, Gewinnmaximierung und andere wirtschaftliche Erwägungen, die an den Interessen der Partnersuchenden vorbeigehen. Die Bürger wie die Partnersuchenden geraten häufig in Wut über die Politik und die Wirtschaft, die nicht das bietet, was sie wollen.
Bei der Partnersuche geht die Selbstkritik gegen Null
Sie äußern dies auch lautstark, aber wenig zukunftweisend. Deswegen können sie als „Wutbürger“ oder „ewige Nörgler“ abgetan werden. Bei der Partnersuche ist die Neigung, sich selbst sein Unvermögen einzugestehen und nach Abhilfe für eigene Mängeln zu suchen, gegen Null abgesunken. Bücher, Blogs und Stellungnahmen der Suchenden beweisen: Schuld sind immer andere.
Ernüchternd: Lieber in alten Zügen fahren als gar nicht ankommen
Wie man einträgliche Gewinne erzielen und dennoch dem Partnersuchenden dienen kann, ist im Moment nicht erkennbar. Zähneknirschend steigen viele Partnersuchende in die bereitgestellten Züge ein, und diejenigen, die ihre Partner „trotz der Unzulänglichkeiten“ finden, steigen still wieder aus. Die andern johlen und schimpfen auf den Bahnhöfen. Das alles mag noch eine Weile gut gehen – aber es ist nicht das, was man als „positive Entwicklung“ bezeichnen würde.
Die „neuen Technologien“ sind beim Kerngeschäft, der nachhaltigen Partnersuche, noch gar nicht angekommen – und insofern gilt wohl weiterhin für die seriöse Partnersuche: Lieber in unkomfortablen Zügen fahren, als gar nicht voranzukommen.