Haben Partnersuchende heute eine Shopping-Mentalität?
Nahezu alle Dating-Experten sind sich einig: Die Mehrheit der Dating-Portale spricht in ihrer Werbung unterschwellige Bedürfnisse, aber auch unerfüllbare Träume an. Damit folgen sie den ehemaligen Ehemaklern, Heiratsvermittlern und anderen Institutionen, die in Zeitungen annoncierten und noch immer annoncieren: Das Geschäft läuft nur, wenn behauptet wird, die „Creme de la Creme“ im Angebot zu haben. Mit den Edlen, den Gebildeten und den Schönen, die oftmals nichts als Lockvögel sind, werden dann jene angelockt, die bislang wenig Glück im Leben hatten.
Woher kommt der angebliche Trend zum „besten Partner“?
Nun behaupten Online-Dating-Unternehmen, sie würden diesen Trend nicht füttern, sondern es sei die Gesellschaft, die unerfüllbare Standards setze. Als Erstes wird meist die Shopping-Mentalität genannt, in der man davon ausgeht, nur das Allerbeste zu kaufen – und so muss es auch der die beste Frau oder der beste Mann sein.
Shopping beim Dating? Oder Massenware konsumieren?
Wie dumm dies ist, bemerkt man nur dann, wenn man noch halbwegs Bodenhaftung hat. Kaufen Frauen denn bei Modeschöpfern aus Paris, London oder Mailand? Wollen sie wirklich etwas Exklusives? Werden die Möbel etwa beim Schreiner bestellt oder bei dänischen oder italienischen Edel-Möbelherstellern bezogen? Nein – gekauft wird, was oberhalb der Ramschgrenze und unterhalb des Budgets liegt. Das Beste ist für die angeblich so am „Besten“ orientierten Frauen und Männer lediglich ein Massenprodukt, das sich jeder kaufen kann, der ein mittleres Einkommen heimträgt.
Im Internet kann man Sexpuppen kaufen, aber keine Partner
Die Gesellschaftsordnung, die billige Massenware konsumiert, soll also bei der Partnersuche den gleichen Regeln folgen? Diese Möglichkeit scheidet also schon mal aus. Die Gesetze von Versandhäusern treffen auf die Partnerwahl nicht zu, es sei denn, Sie würden sich statt einer Partnerin eine Sexpuppe kaufen wollen. Insofern sind entsprechende Behauptungen, die Konsumgesellschaft führe dazu, immer nur das Beste zu wählen, in den Bereich urbaner Legenden.
Selbstüberschätzung als Suchkiller Nummer eins
Bei der Partnersuche und der Partnerwahl müssen also andere Kriterien greifen. Und in der Tat gibt es einen Faktor, der die heutige Partnersuche bestimmt: Selbstüberschätzung. „Ich bin, also will ich“ scheint die Devise zu sein. Wer als Mann einen exklusiven akademischen Grad, ein extrem hohes Einkommen oder außergewöhnliche Macht und Ansehen besitzt, mag noch glauben, damit durchzukommen. Bei Frauen kommt noch eine außergewöhnliche Schönheit, eine ungewöhnliche erotische Ausstrahlung oder eine entsprechende Kunst, sich darzustellen, dazu. Dies alles lässt sich möglicherweise am Partnermarkt gehen Höchstgebote absetzen.
Wir sind alle größtenteils Durchschnitt – ach: Sie nicht?
Doch wer hat alle dies? Der Durchschnitt ist eben Durchschnitt – und nur etwa zwei bis fünf Prozent der verfügbaren Singles haben wenigstens eines der genannten Attribute – und die meisten von uns liegen eben im Duchrschnitt – oder auch weit darunter.
Mir scheint, es ist die Hoffnung, dem Durchschnitt zu entfliehen, die heutige Singles antreibt. Sie überschätzen dabei ihre Persönlichkeit, ihren Status und ihre Schönheit, also ihren „Marktwert“ um viele, viele Prozentpunkte.
Das ist nicht einfach eine Behauptung, sondern wissenschaftlich bewiesen. Das Phänomen heißt „Overconfidence-Effekt“ und betraf vor Jahren die meisten Männer – heute dürften Frauen leicht mit der Selbstüberschätzung konkurrieren. Mathematisch ist es so: Der Durchschnitt ist 50 Prozent. Wenn 84 Prozent der Menschen behaupten, über dem Durchschnitt zu liegen, dann leiden 34 Prozent unter dem Phänomen der Selbstüberschätzung.
Lösungen für die Partnersuche sind einfach
Auf keinem Teilgebiet der Partnersuche sind Lösungen so leicht zu finden, wie dem „Overconfidence-Effekt“ zu trotzen. Im Grunde ist dazu nur eine Revision der Selbsteinschätzung nötig. Dazu wiederum müssten wir nur die Eigenschaften aufschreiben, die uns auszeichnen, also die „Alleinstellungsmerkmale“, um den Wirtschaftsjargon zu benutzen. Mit diesem Profil könnten wir dann Partner reizen, die genau diese Eigenschaften suchen.
Tun wir das? Verhalten wir uns so?
Das Großstadtphänomen: Selbstdarsteller und Selbstüberschätzer
Merkwürdigerweise verhalten sich Land- und Kleinstadtsingles, die relativ gut integriert sind, schon aus sozialen Gründen so. Abweichungen von der Wunsch-Persönlichkeit und der Ist-Persönlichkeit lassen sich hier leicht erkennen. Deshalb lohnt es sich nicht, sich zu verstellen.
In der Großstadt, aber auch im Online-Dating, finden wir hingegen die eitlen Selbstdarsteller, die sich durch Schein zum Sein hochschwindeln wollen. Dagegen spräche nichts, wenn sie sich nicht ständig beklagen würden, dass ihre „Kunstpersönlichkeit“ nicht „angenommen“ wird.
Mögliche Lösung: Rollenspiel aufgeben, bunte Facetten zeigen
Letzteres hängt übrigens mit dem Rollenspiel zusammen: Zu bestimmten Berufen gehört ein gewisses Rollenverhalten, das erlernt werden kann, auch wenn die Persönlichkeit andere, weitaus buntere Facetten beinhaltet. In der Liebe aber spielen alle Facetten mit, sodass es uns nichts nützt, die Fassade aufzubauen: Wir werden als Person, als zukünftige Mütter und Väter oder als Gelebte und Lover wahrgenommen.
Das Fazit? So gut wie alles, was über den heutigen Menschen und seine Partnersuche behauptet wird, ist Makulatur. Wer die Maske fallen lässt oder wenigstens die Scheuklappen abnimmt, entdeckt plötzlich eine bunte Blumenwiese, auf der es sich trefflich grasen lässt. Das ist die simple Wahrheit.