Süddeutsche: Der Glaube an Computer-Logik versetzt den Verstand
Warum sich die Süddeutsche Zeitung ausgerechnet an OKCupid versuchte, ist eines der Rätsel, die mir der deutsche Journalismus ständig aufgibt. Die Sache ist viele zu US-orientiert, bewusst versimpelt und auf eine ganz bestimmte Klientel ausgelegt, die kaum Ansprüche an sich selbst stellt – geschweige denn sinnvolle Wünsche an andere hat.
Was den Redakteur nicht hindert, das Konzept zu lobpreisen, und er zitiert mal mit flotter Zunge den Gründer:
Wir glauben, dass Daten und Algorithmen der Schlüssel zu Kompatibilität sind. Die grundlegende Prämisse unserer Seite ist: Ihr gebt uns Daten, wir geben euch Dates.
Und dann dichtet die Süddeutsche dazu:
Die Idee dahinter: In der digitalen Welt steht uns auf einmal big data zur Verfügung – riesige Datenmengen, die einfach zugänglich und leicht zu verarbeiten sind.
Das ist insoweit richtig, als in gewissen Gemeinschaften (deutsche Single-Börsen und Partneragenturen sind keine „Gemeinschaften“) eine Menge nutzloser Daten herumliegen, aus denen man möglicherweise ein Fragment eines Persönlichkeitsprofils errechnen kann – oder eben auch nicht.
Das wird deutlich, wenn man dahingefaselte Statements als brauchbare Aussagen veröffentlicht:
Wie viele Stunden, wie viele Liter Denkschweiß schon vergeudet wurden, um mit bester Küchenpsychologie zu rätseln: Wie schreib ich ihn an? …OkCupid zeigt: Wir brauchen die unzuverlässige Küchenpsychologie für diese Fragen nicht mehr, wir haben jetzt big data, riesige Datenmengen, die uns echte Antworten geben können.
Das ist mit Verlaub, ausgemachter Blödsinn. Man braucht weder Küchenpsychologie noch echte Psychologie, um einen Menschen anzuschreiben, sondern nur Persönlichkeit – das reicht völlig. Die Datenmengen beantworten die Frage nicht, ob der potenzielle Partner sinnreich angeschrieben wurde, sondern nur, ob es überhaupt eine Reaktion gab. Mit anderen Worten: Die „Intelligenz“ hinter der Mathematik der großen Daten besteht darin, sie möglichst blödsimpel darzustellen und keinerlei Differenzierungen zuzulassen. So etwas wäre durch Softwaretechnologie und Menschenverstand auch anders möglich – mit geprüften, zuverlässigen Daten und Algorithmen, die in der Lage sind, sich ständig selbst zu modifizieren. Doch es ist wesentlich einfacher, mit „künstlicher Blödheit“ zu arbeiten als mit „künstlicher Intelligenz“. Wer nach dem Beweis sucht, kann dies an der Frage erkennen, wie wichtig es ist, Horrorfilme zu mögen. Sie soll angeblich hochgradig zur Gemeinsamkeit beitragen.
Man muss von der Partnersuche wirklich nicht viel verstehen, um darüber zu schreiben – ein bisschen Logik, das Abwägen von Wahrscheinlichkeiten und ein paar psychologische Grundlagen sind neben der Bodenhaftung völlig ausreichend. Man muss sich allerdings davor hüten, alles zu glauben, was im Internet darüber (meist aus Eigennutz) behauptet wird – und genau diesen Fehler haben vermutlich die Kollegen von der „Süddeutschen“ gemacht.
Alle Zitate: Süddeutsche Zeitung: JETZT.