Die Männer wollen nur das Eine
Die Dame kommt an meinen Tisch, mit fliegenden Fahnen: „Sie“ … sagt sie mit einem vorwurfsvollen Unterton, „Stellen Sie sich vor, was mir passiert ist …“ Sie sah mich mit weit aufgerissenen Augen an, wurde erst bleich, dann rot, und plumpste schließlich völlig aufgelöst auf den Kaffeehausstuhl mir gegenüber.
Ach ja – wer mich nicht kennt, der weiß, dass ich Geduld habe und bis zu einem gewissen Grad angriffsresistent bin. Also ließ ich die hervorquellenden Augen mal auf mir ruhen, sagte höflich: „Darf ich Ihnen etwas bestellen?“, und wartete mal ab, welche Geschichte ich zu hören bekommen würde.
„Sie haben mir doch geraten, mich mal mit Online-Dating zu befreunden“, hob die Dame nach kurzer Verschnaufpause an, „und stellen Sie sich vor …“ an dieser Stelle senkte sie ihre Stimme, „da wollte der Herr, mit dem ich mich traf, doch …“ sie unterbrach sich. „Der Kellner kann doch wohl nicht hören, was wir sprechen?“
Ich versicherte ihr, dass der Kellner von dieser Position aus voraussichtlich nicht mal hören würde, wenn ich die Rechnung zahlen wollte, doch sie rückte näher an mich heran uns flüsterte mir ins Ohr: „Er wollte etwas … Sexuelles.“ Ich wagte nicht zu fragen von welcher Art seien Wünsche waren, sondern entgegnete höflich: „Wissen sie, Männer wünschen sich eigentlich oft Sex nach dem erste Date. Die Frage ist natürlich, ob Frauen es ihnen übel nehmen oder darauf warten. Beides kommt vor. Ich nehme an, Sie haben abgelehnt?“
Die Dame sah auf den Kaffeetisch, als ob es dort etwas sehr Interessantes zu sehen gäbe – aber dies war offensichtlich nicht der Fall. „Nein“, sagt sie schließlich zögerlich, „ich habe … es getan.“
In solchen Momenten atmet man besser etwas durch und wartet, sagt einmal „mmh“ und vielleicht noch einmal, um dann zu paraphrasieren. „Sie sind also gewissermaßen … auf seine Wünsche eingegangen?“ versuchte ich zu locken. Die Augen der Dame verklärten sich, dann sagte sie plötzlich, wie in einem Zug: „es war … sehr schön … aber er wollte nicht bleiben, stellen Sie sich das vor!“
Oh, ich hatte es begriffen. „Ich glaube“, sagte ich vorsichtig, „dass keine Garantie auf eine Beziehung damit verbunden ist, wenn Sie mit einem Mann schlafen.“ Die Augen der Dame wurden starr. „Aber er hat mir gesagt, dass er eine feste Beziehung sucht, und nun stellte sich heraus: Der Mann wollte nur das Eine, nur das Eine!“ Sie suchte nach einem Papiertaschentuch, fand eines und trocknete sich die Tränen. Nach einer Weile sagte sie dann halb fragend: „Es geht doch nicht, dass Männer sagen, sie suchen eine Beziehung, und dann wollen sie nur das Eine?“
Nun, ich hätte eine Antwort darauf gehabt … aber sollte ich dieser Frau in ihrer Verzweiflung die Wahrheit sagen? Sollte ich wirklich sagen: „Sehen Sie, gnädige Frau, Sie waren für diesen Mann eben nicht die Frau für eine Beziehung, sondern eine wundervolle Frau für eine schöne gemeinsame Nacht?“
Nein – so etwas sage selbst ich nur dann, wenn man mich intensiv bittet, die Wahrheit zu sagen. Also sagte ich mal wieder eine dieser Wahrheiten zweiter Wahl, die niemanden verletzen: „Oh, es lag sicher nicht an Ihnen – wissen Sie, manche Männer können sich einfach nicht dran gewöhnen, dass Frauen heute so klare Vorstellungen haben wie Sie.“
Die Dame zupfte mir nun am Revers meiner Jacke. „Ich muss Ihnen etwas gestehen“, sagte sie nun fast flüsternd, „ich hab jetzt gar nicht mehr so klare Vorstellungen.“ Dabei sah sie mich so an also, ob sie auf einen Kommentar warten würde.
Ich sah sie längere Zeit schweigend an, bemerkte, wie sich ihre Gesichtszüge entspannten, und schlug ihr dann vor, dass ich die Rechnung übernehmen würde. Ich habe seither neimals mehr etwas von ihr gehört.
Anmerkung: Die Geschichte ist eine Abwandlung mehrere ähnlicher Vorfälle und als solche reine Fiktion. Sie wurde hier für eine Blogparade geschrieben.
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