Das Leben auf dem Lande ist nicht immer ein Landleben
Als ich von der Großstadt Stuttgart in eine kleine badische Gemeinde zog, wurde mir eines bewusst: Wenn ich jemals wieder eine Partnerin suchen müsste, dann würde es schwer werden.
Das „jemals“ trat irgendwann ein, aber das war ich bereits wesentlich kosmopolitischer. Die Stadt ist ja nur solange „die Stadt“ wie man dort vielfache Bindungen hat. Bekanntlich lassen diese vielfachen privaten Bindungen nach, sobald man ein Paar wird, und wer viel arbeitet, für den werden bald auch die Arbeitskollegen bald zum Lebensmittelpunkt. Irgendwann stellte ich zudem fest, dass ich weniger oft in der nämlichen badischen Kleinstadt ausgegangen war als in Kopenhagen.
Doch zurück zum Land. Das Leben auf dem Lande ist nicht das Landleben. Was uns in den absolut lächerlichen Kuppelshows gezeigt wird, hat mit „dem Leben“ nichts zu tun und erst recht nichts mit dem Landleben. Zudem ist es zwar spektakulär, aber über alle Maßen lächerlich, „Großstadt“ und „Kleckerdorf“ nebeneinanderzustellen – dazwischen liegt noch viel, und in diesem „Viel“ wohnen Menschen, die bei einer Scheidung oder Trennung tatsächlich nur wenig Chancen haben, in derselben Umgebung wieder jemanden kennenzulernen.
Ob die Menschen in Stadt und Land wirklich so unterschiedlich sind, ist abhängig davon, wie und wo man lebt. Solche Sätze sind da wenig hilfreich (Die WELT):
Vor allem Großstadtmänner mögen unverbindlichen Sex, wobei Männer zwischen Mitte 40 und Mitte 50 besonders anfällig sind. Frauen haben grundsätzlich keine gesteigerte Lust auf Sex ohne Liebe. In der Stadt sind sie aber wesentlich weniger abgeneigt als auf dem Land.
Wie gut, dass die Autorin Claudia Becker weiß, welche Lüste und Abgründe „Frauen grundsätzlich nicht haben“. Ich kannte bereits in den frühen 1960er Jahren eine Gruppe von Akademikerinnen, die ganz bewusst vom Dorf in die Stadt fuhr, um dort kurzfristige „Liebeserlebnisse“ zu haben. Ob weniger gebildete Frauen auf dem Lande tatsächlich keine Lust auf die „schnelle Nummer“ nach dem Frühlingsfest haben? Das mag sein, doch sollte man wissen, dass nicht nur in „bildungsfernen Schichten“, sondern auch unter Handwerkern und „kleinen“ Angestellten in Dorf und Kleinstadt heute immer noch früh geheiratet wird. Das „Erproben“ der Sexualität fällt also in die Teenagerzeit, die aktive sexuelle Betätigung in die Ehe oder Beziehung – und da herrschen andere Bedingungen. Eines dürfte doch klar sein: Frauen ab spätestens 30, die unverheiratet oder geschieden sind, suchen sich heute durchaus Männer für die „schnelle Begegnung“.
Wo Frauen in schlechten Ruf kommen könnten, da reißen sie eben aus. Es ist zwar so, wie ein Hamburger Psychologen behauptet,a ber auch dies lässt sich umgehen: (ebenfalls Zitat WELT, siehe voriger link):
Im Dorf bewegt sich schnell mal die Gardine vor dem Alpenveilchen. Da wird geguckt, was denn da schon wieder für ein Auto bei den Nachbarn parkt.
Soweit, so unklar. Denn heute haben wir eine mobile Gesellschaft. Ein Dialog von gegen 1962 auf dem Lande mag dies beweisen: „Wie kommt es, dass du Auto fährst – ist doch ungewöhnlich für eine so junge Frau?“ Antwort: „Ja meinst du, ich könnte es mir leisten, dich in meinem Dorf zu treffen?“
Stadt, Land, Fluss …? Wer in der Kleinstadt oder auf dem Dorf lebt, für den ist die Großstadt der Dschungel. Wer „durchgängig“ lebt, für den ist das Freiburger Münster so nahem wie der nächste Kirchturm im Markgräflerland. Partnersuchende tun deshalb gut daran, sich nicht an Stadt, Land Fluss zu orientieren, sondern an dem Leben, das sie gerne führen würden. Sollte es das Leben auf dem Lande sein, warum eigentlich nicht?