Eine angebliche sexuelle Revolution vor zwei Mio. Jahren?
Ein Forscher, der offenbar noch bekannt werden will, hat eine ebenso spekulative wie unglaubwürdige Theorie aufgestellt: Die Monogamie soll bei Menschen schon vor mehr als zwei Millionen Jahren eingesetzt haben – irgendwann beim Übergang vom Affen zum Menschen. Doch außer der sensationsheischenden Presse glaubt so recht niemand an seien Theorie, die alleine auf fragwürdigen und spekulativen Modellrechnungen beruht.
Wie schön, wenn Wissenschaftler rechnen können – das erfreut uns bei Weitem mehr, als wenn sie ständig nur spekulieren.
Doch ob sich errechnen lässt, warum die Menschheit von der gemeinsamen Aufzucht von Nachfahren zur Monogamie überging? Jemand glaubt, dergleichen errechnen zu können – nämlich Sergey Gavrilets von der Universität von Tennessee (USA).
Der Übergang zur Monogamie – eigentlich bereits bekannt
Die Berechnungen in Ehren – aber eigentlich steht bereits fest, wann der Übergang stattfand: Damals, als wir Menschen überwiegend beschlossenen, zu siedeln, statt weiterhin in nomadisch lebenden Horden durchs Land zu ziehen. Das soll etwa gegen das Jahr 12.000 vor Christi Geburt geschehen sein, also noch relativ nahe an unserer Zeit. das Stichwort dazu, „Neolithische Revolution“ lernt jeder Gymnasiast.
Neu Version – reine Spekulation mit Zahlen
Die „neue Version“ klingt ausgesprochen abenteuerlich und über alle Maßen unglaubwürdig – angeblich haben die Forscher um Herrn Gavrilets demnach durch „Berechnungen ermitteln“ können, wie sich der „Energieaufwand“ durch die Bildung von monogamen Beziehungen verringerte, die angeblich von den Frauen in den Horden „initiiert“ wurden.
Erstaunlich dabei ist, dass die Forscher die Emotionen und den Wissensstand der Frauen (beispielsweise, welche Kinder durch den Geschlechtsverkehr mit welchen Partnern entstehen) genau „berechnen“ können, aber dass sie andererseits nicht in der Lage sind, die Zeit zu bestimmen, in denen dergleichen stattfand – dazu ein Zitat (aus der WELT, Quelle siehe nächstes Zitat):
Wann dieser Wechsel stattfand, konnte Gavrilets nicht berechnen. Er vermutet aber, dass dies schon kurz nach der Trennung der Stammeslinie von Affe und Mensch geschehen sein könnte.
Über die Presse in Windeseile verbreitet: Fragwürdige Wissenschaftsmeldungen
Mit dieser abenteuerlichen Behauptung sollte sich der Wissenschaftler eigentlich völlig disqualifizieren – aber das hinderte die Presse nicht, die von einer Presseagentur in Windeseile verbreitete eigenwillige Forschermeinung zu publizieren. Mit der Behauptung, die Monogamie reiche an die Trennungslinie zwischen „Affe und Mensch“ heran, kommt man in Bereiche von mehr als zwei Millionen Jahren in der Vergangenheit. In dieser Phase der Menschheitsgeschichte kann man sich nun wahrlich nicht vorstellen, dass sich Einzelfamilien innerhalb von Horden gebildet haben, die bessere Überlebenschancen hatten als die Horde selbst. Das Haupt-Gegenargument allerdings wäre dies: Keiner der männlichen Vorfahren dieser Gattungen kann ernsthaft „gewusst“ haben, welche Kinder er gezeugt hat – wie sollte er dann „persönlich fürsorglich“ sein?
Wissenschaft ist offensichtlich zu einem Roulettespiel für Fantasten geworden – oder für Populisten. So müssen wir dann wohl auch die Überschrift in der WELT verstehen: „Vormenschen Frauen wollen Fürsorge statt Helden“ heißt es da relativ reißerisch – selbst der folgende redaktionelle Teil verfälscht die Tatsachen: Die dubiosen Forschungen des Wissenschaftlerteams wurden in der WELT wie Tatsachen wiedergegeben.
Zitat aus der WELT:
Bei unseren Vorfahren lösten die Frauen eine sexuelle Revolution aus: Anstatt sich dem Haremsprinzip zu unterwerfen, bevorzugten sie fürsorgliche Männer und förderten so die Zweierbeziehung.
Aus solchen Aussagen muss beim wissenschaftsfremden und ungebildeten Menschen der Eindruck entstehen, die Forschungsergebnisse seien bereits bestätigt –dies ist aber unter keinen Umständen der Fall. Wer kritischer nachlesen will, sollte die Los Angeles Times lesen.
Nicht nur SPRINGERS WELT brachte übrigens den spektakulären Artikel – auch der SPIEGEL brachte einen ähnlich unkritischen Artikel in seiner Online-Ausgabe.