Hirn kontra Bauchgefühl – warum Denken hinderlich sein kann
Falls sie es nicht wissen sollten: Wir sind Menschen, man nennt uns „Homo sapiens“. Das zweite Wort steht für unsere Denkfähigkeit, das Erste dafür, dass wir einer Gattung angehören: der Gattung Homo. Sie hat sich sehr spät entwickelt, was für sie spricht, und sie trägt dennoch das Erbe der Säugetiere, Menschenaffen und vorausgegangener Menschenarten in sich.
Ei potz – das wissen Sie natürlich, aber beachten sie es auch? Vermutlich nicht ausreichend. Da sucht also die 35-jährige Akademikerin Erika (Managerin in der Modebranche, Sportcabriolet, Eigenheim) einen Mann, der … (folgt eine Liste von intellektuellen Eigenschaften) und der … (hier folgen Ausbildung und Einkommen) und der … (nun folgen einige urviehische Eigenschaften, die sie nicht in Ihr Profil schreibt). Nehmen wir mal an sie sucht online (ja, wo denn sonst?) dann muss sie zwangsläufig „Sieben“. Am Ende dieses Prozesses hat sie die Männer mit dem besten Einkommen, dem höchsten Intellekt und dem markantesten Gesicht herausgefunden.
Mit dem falschen Mann ins Bett und den richtigen heiraten?
Fällt Ihnen etwas auf? Sie hat rationale Elemente mit irrationalen vermischt, so wie wir es vermutlich alle tun. Bei der Liebe entscheidet am Ende eine merkwürdige Mischung aus Überlegung, gespeicherten Gefühlen und der Gunst des Augenblicks. Besonders letzterer verführt uns dazu, mit den falschen Menschen ins Bett zu gehen, aber auch die richtigen zu heiraten – oder mit den richtigen ins Bett zu gehen und die falschen zu heiraten. Beides ist möglich.
Die Begierde des Urinstinkts und die Kraft des Geistes – wer siegt?
Am Ende stehen sich also die intellektuell gesteuerte Selektion und der Urinstinkt der Intuition entgegen, und beide können allein oder in der Kombination zu richtigen oder falschen Entscheidungen führen. Doch was wäre wenn Erika nun ihre Entscheidungsprozesse am Ende doch auf ihren scharfen Verstand reduzieren würde?
Warum Sie die „reine Vernunft“ abschreiben können
Gehen wir noch einmal zurück zum „reinen Denken“, also der Vernunft: Am vernünftigsten wäre es für die meisten von uns, einen Partner aus der gleichen sozialen Umgebung am selben Ort kennenzulernen, dessen Eigenschaften sich mit unseren optimal paaren. Jemanden, der als treu, verlässlich, sozial engagiert und strebsam angesehen wird. Also sollten wir ihn herausselektieren, heiraten und Kinder miteinander haben.
Das tun wir aber nicht. Wir sehnen uns nicht (jedenfalls nicht mehr) nach Heim und Herd, ewig gleichen Verhältnissen und damit einem langweiligen Alltag, sondernd danach, mit unserem Partner etwas Einmaliges, Wunderschönes, Erfüllendes und Glückliches auszubauen – und dann wählen wir jenen Menschen, von dem wir glauben, dass er uns all diese Illusionen erfüllt.
Spontane Entscheidungen führen oft zu Beziehungen
In der Liebe – und das kommt dazu – entscheiden wir uns oft spontan. Da war das Blind Date in der fremden Stadt, sagen wir einmal Rom oder Kopenhagen, das uns gefangen nahm und die Frau, die ihre Chance ergriff und uns verführte. Da war das Dinner zu zweit am selben Ort, an dem sie ein Glas Rotwein über seien Hose schüttet und ihn mitnahm – für immer. Vielleicht war es auch nur dieser Blick, der sich in unser Hirn einbrannte und die Hand, die sich plötzlich auf unsere legte: „Komm mit, ich beiße nicht!“ Die Schmetterlinge im Bauch, das Bauchgefühl, mehrere sinnliche und erfüllende Liebesnächte – das reicht uns aus. Die Liebe basiert drauf, dass unser Hirn lahmgelegt wird, nicht darauf, dass wir nachdenken.
Warum uns der Geist bei der Suche nicht wirklich hilft
Kommen wir zurück auf unser Beispiel Erika: Sie hat kaum eine Chance, mit ihren Kriterien einen Mann zu finden, egal, wie sie aussieht, wie viel Geist sie in die Waagschale legen kann und welches Einkommen sie als Morgengabe mitbringt. Denn am Ende wird sie immer wieder sieben, und sieben, und sieben – und sich dann mit Männern treffen, die exakt ihren Kriterien entsprechen – alle werden im Geist abgehakt, bei allen wird noch einmal pro und kontra verglichen. Ja, es wären einige Männer übrig geblieben. Aber in die verliebte sie sich nicht – oder die Männer nicht in sie.
Wie wir nachträglich behaupten, vernünftig gehandelt zu haben
Doch, was ist mit ihrer Freundin Renate, die das „große Los“ gezogen hat in der Männerlotterie? Sie suchte exakt in der gleichen Art wie Erika, online, sehr selektiv, mit ähnlichen sogenannten „Ansprüchen“. Doch Renate tat etwas, was Erika nie tun würde: Sie traf sich auch mit Männern, die nicht ganz ins Raster passten. Mit einem fuhr sie spontan ins Wochenende, verliebte sich und – nun fehlt doch noch der Clou, oder?
Richtig – im Nachhinein behauptete sie, niemals eine spontane Entscheidung getroffen zu haben, sondern sich einen Mann ausgesucht zu halben, der exakt auf ihre Bedürfnisse passt. Die Entscheidung fiel spontan, intuitiv und unter dem Einfluss der Droge, die alles verändert: Liebe. Die Begründung hingegen wurde „nachgereicht“ – und tatsächlich glaubt Renate selbst, dass es genau so gewesen ist, wie sie es im Nachhinein für sich konturiert hat.
Ich denke, Sie haben etwas bemerkt, nicht wahr? Vertrauen Sie niemandem, der behauptet, die Entscheidung für einen Partner alleine aus dem emsigen Filtern mithilfe seines Geistes gefunden zu haben. Überhaupt: Vertrauen sie nur auf sich selbst.