Beschleunigung, Normenverlust und Liebe im Internet
Was uns durch das Internet widerfährt, könnte man „Beschleunigung“ nennen – das ist eines dieser Wörter, die Philosophen benutzen. Wir beschleunigen uns, indem wir das Internet nutzen, und je mehr wir dabei auf die Tube drücken, umso schneller erleben wir eine kybernetische Rückwirkung: Wir beschleunigen, und als Rückkopplung werden wir beschleunigt. Einige von uns werden am Ende hinausgeschleudert aus der Realität: Nicht alles, was möglich ist, können wir ertragen.
Beschleunigung – ein Vehikel mit Nutz- und Schadeffekten
Wie alles im Leben, hat auch die Beschleunigung zwei Seiten: Wir müssen zwar fürchten, den Realitätssinn zu verlieren, wenn wir über den Schüsselrand unserer Stabilität hinausgeschleudert werden könnten, aber wir können unser Leben durchaus bereichern, indem wir die Grenzen unserer Beschleunigung beobachten.
Beschleunigung als Element der Partnersuche
Dies alles hat eine gewisse Bedeutung für die Partnersuche. Indem wir das Internet nutzen, beschleunigen wie zweifellos die Suche. Mehr mögliche Partner bedeuten mehr mögliche Dates, und mehr mögliche Dates erhöhen die Chance auf eine Beziehung. Die Rückkoppelung ist gering und dürfte bei vier bis sieben Dates bis zum Erfolg der Partnersuche kaum Auswirkungen haben. Wir haben Chancen, wir nutzen sie, und wenn wir Gefallen an einem Partner finden, versuchen wir ihn zu halten.
Der „bessere Partner“ – die Beschleunigung an der Grenze zum Wahn
Die gefährliche, negative Rückkoppelung stellt sich schleichend ein, und bevor wir uns versehen, übermannt sie uns:
Wenn wir das Internet zur Partnersuche nutzen, bemerken wird, dass die Möglichkeiten unendlich groß sein können. Wir erbauen uns an der Beschleunigung und treffen Menschen, die unseren Wünschen entsprechen, aber wir vermuten auch, dass es noch besser passende Partner finden könnten. Dies trifft zunächst auch zu, nur wird die Suche dadurch langwieriger und komlizierter. Je mehr Partner wir treffen, umso mehr verdichtet sich die Überzeugung, dass es immer wieder einen „noch besseren“ Partner geben könnte. Nun entsteht eine negative Spirale: Je mehr wir suchen, umso mehr erkennen wir Mängel an unseren Datingpartnern, und je mehr wir Mängel erkennen, umso mehr versuchen wir unsere Suche zu optimieren. Diese Katze beißt sich in den Schwanz, weil wir die Suche am Ende nicht mehr optimieren können – und immer noch keinen Partner gefunden haben.
Die Falle: Voodoo-Püppchen, die nach der Trommel tanzen
Zu den größtmöglichen Katastrophen bei der Partnersuche im Internet gehört diese Art der Rückkoppelung. Sie macht die Betroffenen zu Zombies in einem Voodoo-Zirkel: die Püppchen tanzen nach der großen Trommel, haben aber keine Macht mehr über sich selbst. Sie behaupten, den besten Partner finden zu wollen, wissen aber nicht einmal, warum er gut für sie sein soll. Bis zum bitteren Ende drehen sich die Spielerinnen und Spieler der Dating-Hysterie immer schneller.
Suchtgetriebene Selbstbetrüger – der Anspruch, Ansprüche zu haben
Dann, am Ende und meist zu spät, kommt die Ahnung, ein Opfer des eigenen Wahns geworden zu sein. Es muss nicht immer ein erkennbarer Zusammenbruch sein. Derzeit fallen täglich Scheinwelten wie Kartenhäuser zusammen, und eines davon ist die Idee, per Online Dating den „perfekten Partner“ zu finden. Wer nach fünf Dutzend Dates noch keinen „passenden Partner“ gefunden hat, fällt voraussichtlich in die Kategorie der suchtgetriebenen Selbstbetrüger, die ich vorher als Dating-Zombies geschildert habe. Die meisten von ihnen finden niemals den Weg zum Therapeuten – und sie sagen ihren Beratern dann ins Gesicht: „Aber es ist doch selbstverständlich, dass ich gewisse Ansprüche habe – jeder hat sie doch.“ Es ist auch für einen Laien in Sachen Logik einfach, herauszufinden, warum dies ein Irrglaube ist: Zwar mag der Partnersuchende „Ansprüche“ anmelden, aber es wird selten jemand da sein, der sie erfüllt, weil auch Partner Vorstellungen, Wünsche oder vielleicht sogar ebenfalls „Ansprüche“ haben. Es geht gar nicht um die Erfüllung der Ansprüche. Die Realität beginnt viele Stufen unter dieser arroganten Haltung, nämlich mit diesem Satz: „Wer würde mich wohl nehmen, so wie ich bin?“
Lesen Sie die Fortsetzung nächste Woche: Die Vorteile der Beschleunigung – und wie man sie nutzen kann.
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(25. Februar 2012)