Die Welt der Halbjungfrauen 2012
Alles kommt einmal wieder – sogar die Halbjungfrau. Wie kann man „halb Jungfrau“ sein? Nun, wir haben es mit einem etwas verniedlichenden Begriff des Bürgertums zu Anfang des 20. Jahrhunderts zu tun. Der Begriff kommt aus dem Französischen, wo man ganz unverblümt von der Demivierge spricht.
Die Halbjungfrau damals – Angst vor Schwangerschaften
Eine Halbjungfer oder Halbjungfrau ist eine Dame, die durchaus Freude an erotischen Gesprächen und erotischen Handlungen hat, aber niemals die Schenkel öffnet, um den Geschlechtsverkehr zu praktizieren. Bei einer Halbjungfrau sind also viele erotische und sexuelle Handlungen möglich, außer dem finalen Vollzug des Geschlechtsaktes. Die Töchter aus besseren Kreisen begannen Ende des 19. Jahrhunderts, solche Praktiken anzuwenden, wenn sie sich einen „gewissen Einblick“ in die Lliebe wünschten, aber vor Schwangerschaften zurückschreckten. Dazu gehörte unter anderem auch, sich zum Geliebten ins Bett zu legen, ihm aber die letzte Erfüllung zu verweigern.
Kleine Geschenke gegen Gefälligkeiten – junge Halbjungfrauen
Aus bürgerlichen Kreisen des frühen 20. Jahrhunderts wurde bereits berichtet, dass einige junge Frauen auch durchaus Interesse an Geld- oder Sachzuwendungen hatten, die als Gegenwert für „Gefälligkeiten“ genutzt wurden. Diese Art der verdeckten, vornehmtuerischen Prostitution existierte auch noch unter den Jugendlichen der Nachkriegsgeneration des Zweiten Weltkrieges. Man muss sich vergegenwärtigen, dass es in den 1950er Jahren auf Augenhöhe so gut wie keine Möglichkeit für einen Abiturienten gab, auch nur über Sex mit einer Frau zu reden. Erst über die Liebe zu reden, und sie dann körperlich zu vollziehen, galt als ausgesprochen befremdlich, und „Bürgermädchen“ lehnten dies schon im Ansatz ab.
Halbjungfrauen 2012: über Sex nur reden?
Vor diesem Hintergrund ist eine Aussage interessant, die ich dem Klappentext eines Buches („Aufrüschbar“) entnehme:
Mit einem Mann über Sex zu reden ist oftmals aufregender, als ihn zu praktizieren. Und nachhaltiger, denn es erhöht die Wahrscheinlichkeit, mit diesem Mann weiterhin Kontakt zu haben.
Wer sich in dieser Richtung absolut weiterbilden will, kann dies in der deutschen BILD-Zeitung tun, in der sich die Autorin zu weiteren höchst merkwürdigen und realitätsfremden Aussagen hinreißen lässt.
Halbjungfern 2012 – Realität und Internet
Die Halbjungfer in der Realität 2012? Eine schreckliche Vorstellung, sowohl für die von mir befragten Frauen wie auch für die Männer. Wenn es ein Spiel ist, wie beispielsweise „T&D“ (englisch: „Tease and Denial„, deutsch etwa „Anmachen und verweigern“), dann mag es beliebt sein, und auch in den ersten Phasen des Flirts reizt das Reden über die Lust. Doch „Spielchen“ dieser Art über längere Zeit, sogar noch bei gemeinsamen Übernachtungen, werden von den meisten Erwachsenen abgelehnt. Ein wesentliches Element der Leidenschaft ist ja gerade, die Kontrolle über sich selbst zeitweilig zu verlieren und nicht sie krampfhaft aufrechtzuerhalten.
Die Welt des Internets – Welt der Halbjungfrauen
Mir kommt das Thema gerade Recht – denn der „Sex ohne Körperlichkeit“ ist bei Weitem verbreiteter als die „Körperlichkeit ohne Sex“. Mit anderen Worten: Das Reden, Schreiben und Zuschauen ist heute das Geschäft tausender Halbjungfrauen, die als moderne Animierdamen, also als Chatterinnen, Animateurinnen und Senderinnen im Internet unterwegs sind.
Die Halbjungfrau heute ist nicht mehr die erotische Dame ohne Unterleib, die Berührungen erlaubt – sie ist in Wahrheit die Frau, die bei Sex-Anbietern dafür sorgt, dass der Rubel rollt. Hier liegt die Domäne der heutigen Halbjungfrauen, die alles versprechen- aber wissen, dass sie niemals wirklich „ran müssen“.
Halbjungfrau oder Kontrollzwang?
Am Ende muss ich Tacheles reden, auch wenn es bitter ist: Die Frau, die nicht weiß, wie und wann es gut für sie ist, mit einem Mann die körperlichen Leidenschaften zu teilen, sollte vielleicht einfach bleiben lassen, Männer zu treffen. Zwanghaftes Verhalten im Bett? Immer die Kontrolle behalten wollen? Wer wünscht sich eigentlich solch eine Geliebte?
Wer sich etwas auskennt, weiß, dass die Mehrheit der Frauen keine Männer mag, die zögern und zagen. Weniger bekannt ist, dass auch Männer schnell die Finger von Frauen lassen, die nicht wissen, wohin der Weg gehen soll. Selbstbewusstes Handeln zeigt sich eben auch darin, sich bewusst einander hinzugeben und die Selbstkontrolle für eine Weile an der Garderobe abzugeben.
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(25. Februar 2012)
