Schamlosigkeit als Lebensprinzip?
Wir sollen alle schamlos werden – so schamlos, dass wir unsere geheimen Gedanken und Wünsche ausplaudern und nicht etwa nur unsere „sexuelle Orientierung“ an die große Glocke hängen. So lese ich es immer häufiger, und „Soziale Netzwerke“ oder „Soziales Dating“ sind dabei die Verursacher.
Niemand geht schamlos durch die Innenstadt
Es ist merkwürdig – kaum eine Frau würde heute nackt durch die Innenstadt von (sagen wie einmal) Paderborn gehen, und wenn sie das täte, müsste sie morgen mit Konsequenzen rechnen. Würden sich schwäbische Honoratioren outen, schmerzgeil zu sein, würden ihre Parteien sie vermutlich sofort fallen lassen wie die heißen Kartoffeln. Ich erinnere mich noch recht gut, wie der deutschen Presse mehrheitlich der Geifer vor dem Mund stand, als ein Automobilfunktionär in eine hinterhältige Sexfalle gelockt wurde. Nein, diese bürgerlich-konservative Pressemeute attackierte nicht etwa die Verbrecherbande, die den Funktionär in die Sache hineingetrickst hatte – sie griff ihn wegen seiner Liebhaberei an. Das alle ist nicht „Jahre her“ –es geschah erst vor wenigen Jahren.
Außerhalb der Schlampenszene kann jede Schamlosigkeit schaden
Im Prinzip ist es heute so: Ob eine junge Frau sich für die Liebe bezahlen lässt oder für die Enthüllung ihres Körpers, interessiert keinen Menschen, solange sie nicht ein Amt oder eine andere öffentlich sichtbare Position bekleiden will – der Weg in die wirklich guten Positionen der Wirtschaft, namentlich ins Management, gehört selbstverständlich auch dazu. Es reicht im Prinzip schon, außerhalb der Schlampenszene, in der jede Affäre nützlich ist, berühmt zu werden. Dabei ist es kein Problem, von der Kellnerin zur Domina aufzusteigen oder vom Wäschemodell zur Escort-Lady, ja, es ist nicht einmal verwerflich, von der Bankkauffrau zur Bordellbesitzerin zu avancieren – nur der umgekehrte Weg ist nicht leicht. Für Frauen, die niemals die Öffentlichkeit suchten, ist die Sache noch einmal anders: Hier war noch viel dadurch möglich, die Stadt oder das Milieu zu wechseln – oder verschwiegene Lover zu haben, die selber viel vor der Öffentlichkeit verbergen müssen.
Natürliche soziale Netzwerke haben glücklicherweise Grenzen
Die natürlichen „sozialen Netzwerke“ reichten niemals weit – sie endeten zum Teil bereits an der Grenze zum „Kiez“, also des unmittelbaren Wohnviertels. Je nach Abstufung des Bekanntheitsgrads und es Kontaktes mit Behörden wurden „extreme“ Verhaltensweisen bekannt – über die Straße hinaus, in der man lebte, über das Stadtviertel hinaus oder die Schule, die man besuchte – und bis der zweifelhafte oder jedenfalls peinliche Ruhm in der nächsten Stadt oder im ganzen Land ankam – da musste man schon Rosemarie Nitribitt heißen. Die Frankfurter Hure von einfacher Herkunft und feiner Lebensart geriet übrigens erst nach ihrem Tod in das Räderwerk der deutschen Hetzpresse.
Künstliche soziale Netzwerke tragen die Informationen weit
Heute – und dies sollten Sie verinnerlichen – gehen überwiegend Personen unter 35, also solche, die erst am Anfang ihres Lebenswerks stehen, in sogenannte globale „Soziale Netzwerke“, die in Wahrheit weltweit öffentliche Schaubuden sind – wen man nicht aufpasst, was man dort tut. Die „Jugendsünden“, die früher großzügig verziehen wurden, liegen heute überall öffentlich herum, und bei entsprechender Böswilligkeit und einem guten Recherchewerkzeug können sie wieder „ausgebaggert“ werden.
Partnersuchende Frauen – Sex-Vergangenheit meist unerwünscht
Ich rate Ihnen gut: Bewahren Sie ihre Privatheit und lassen Sie sich nicht einreden, dass diese sich „im Wandel“ befindet. Insbesondere Partnersuchende sollte sich darauf einstellen, dass ihre Vergangenheit heute sogar von einem Laien durchleuchtet werden kann – inklusive Arrangements für Bildagenturen, in denen Sie sich einmal als Wäsche- oder Aktmodell angeboten hatten und Escort-Agenturen, für die Sie in Ihrer Studentenzeit arbeiteten – von allen anderen kleinen Schamverletzungen einmal abgesehen. Ich weiß aus der Erfahrung eines Webmasters, dass sich Frauen schon wegen kleinster Berührungen mit der Branche der erotischen Akt-und Wäschefotografie, der Erotikbranche, des Vertriebs erotischer Produkte und dergleichen aus Artikeln entfernen ließen – in allen Fällen handelte es sich nicht um wirklich „schamlose“ Handlungen.
Schamlosigkeit das ganze Leben durchhalten?
Wenn Sie sich entschließen sollten, schamlos zu sein, müssen Sie dies möglicherweise das ganze Leben durchhalten –und dies kann sehr hart werden, denn die moralischen Erbsenzähler werden nicht weniger. Ach ja, ich sprach ja über die Partnersuche. Da reicht es schon, damit zu prahlen, schon 100 Männer gehabt zu haben, mit vielen B-Promis das Bett geteilt zu haben, auf Partys mehrfach vernascht worden zu sein – oder sich öffentlich dafür zu schämen. Im Endeffekt kommt es auf das Gleiche heraus.
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