Gleich und Gleich oder Gegensätze?
Der Volksmund kennt beide Behauptungen: „Gleich und Gleich gesellt sich gerne“ und „Gegensätze ziehen sich an“. Entsprechen heftig fallen dann auch die Wirtshausdiskussionen aus: Je nachdem, wen man kennt und wie sich die Paare zusammengefundene hatten, weiß man dies oder jene Anekdote über „Gleichheit“ oder „Gegensätze“ zu berichten.
Heute fiel mir ein Artikel von Kira (Herzklopfen neu.de) auf, der sich kritisch mit den vermeintlichen Gegensätzen auseinandersetzt.
Keine Alternativen, sondern zwei separate Behauptungen
Betrachten wir die Sache mal ganz anders, gleichwohl aber wissenschaftlich. Die Rhetorik bietet einen Schlüssel zur Entlarvung von Manipulationen und eignet sich daher gut dazu, denn Sinn der Fragestellung zu untersuchen. In der Regel werden ja beide Thesen auffälligerweise gegeneinandergestellt, so, als ob es sich um Alternativen handeln würde, also beispielsweise:
Sind gleiche Eigenschaften oder gegensätzliche Eigenschaften besser für eine dauerhafte Beziehung?
Eine solche Frage gehört zu den rhetorische Fragen, genau genommen zur Gruppe der Alternativfragen. Sie soll dazu dienen, eine von zwei angebotenen Möglichkeiten zu wählen, um die andere Richtung nicht weiter zu verfolgen. Mit anderen Worten: Am Schluss soll eine Antwort stehen, die entweder lautet:
Gleiche Eigenschaften sind besser für eine langfristige Beziehung.
Oder:
Unterschiedliche Eigenschaften sind geeigneter für eine langfristige Beziehung.
Mieser rhetorischer Trick
In Wahrheit handelt es sich dabei allerdings um nichts mehr als einen rhetorischen Trick, der eine unzulässige Beeinflussung, auch Manipulation genannt, nach sich zieht. Manipuliert wird immer, wenn man mit der eigenen These recht behalten will. Da ist relativ leicht: Man bildet solange Frageketten, bis der Unkundige in die Ecke gedrängt wird. Sind die „Gegensätze“ also einmal abgewählt, so bleibt nur noch „Gleich und Gleich“. Das Problem liegt aber bereits in der Grundannahme, es könne sich bei „Gleich und Gleich“ und „Gegensätzen“ überhaupt um Ausschlüsse handeln. Ich will ihnen dies im nächsten Absatz verdeutlichen.
Ergänzung ist das vergessene Schlüsselwort
Jeder Mensch hat Eigenschaften, die sich mit den Eigenschaften anderer ergänzen können. Die gesamte Evolution, aber auch die Kultur beruht drauf. Treffen also zwei günstige Eigenschaften aufeinander, die sich ergänzen, so spielt es keine Rolle mehr, ob sie gegensätzlich sind, sondern ob sie zu mehr Lebensfreude, Arbeitsleistung, Macht- oder Geldgewinn eingesetzt werden. Das Interessante darin ist, dass diese durchaus gegensätzlich sein können. Im kaufmännischen Bereich ist dies bei der typischen Kommanditgesellschaft der Fall, im Bereich der Paarbeziehungen kommt es besonders häufig in Handwerkerehen vor.
Gleichheit und das Versagen der Steuerung in Paarbeziehungen
Wer ernsthaft wissenschaftlich arbeitet, dürfte sich im Grunde gar nicht fragen lassen, ob „Gleich und Gleich“ sinnvoll ist, sondern müsste alle Eigenschaften des Menschen darin zerlegen, ob sie einander ergänzen könnten. Ehen sind in der Regel auf Ergänzung ausgerichtet, nicht auf Gleichheit. Der Grund ist so simpel, dass man sich wundert, warum er so selten genannt wird: Paaren, die ausschließlich in die gleiche Richtung zielen, fehlt ein Kernelement der Beziehung, die dynamische Steuerung.
Gemeinsame Freude am Untergang?
Obgleich das Beispiel hinkt, kann so eine Beziehung aussehen wie ein Wagengespann, das von zwei Pferden gezogen wird, aber keinen Kutscher auf dem Bock hat. Zudem sollte man bedenken, dass die Gleichheit auch in einem gefährlichen negativen Bereich bestehen kann – und wer wird sich schon darauf freuen, aus Gleichheit einander beim psychischen und sozialen Untergang zu helfen?
Gegensätze? Und wenn es gar keine sind?
Ebenso verhält s sich mit der gegenteiligen Fragestellung: Warum sollten sich Gegensätze eigentlich anziehen oder abstoßen? Sind die Dinge, die wir als „Gegensätze“ bezeichnen, überhaupt eindeutig als solche zu definieren? Wir haben uns daran gewöhnt, dass wir von Psychologen mit konstruierten Gegensätzen verhöhnt werden: Da steht extravertiert kontra introvertiert, mit einer Betonmauer dazwischen. Doch es lässt sich leicht beweisen, dass ein Mensch situativ introvertiert oder extravertiert sein kann, je nachdem, inwieweit er sich kompetent oder anerkannt fühlt.
Das „Bessere Ganze“ und die überforderte Psychologie
Das Fazit: Man kann allem Menschen, insbesondere aber Wissenschaftlern nur anraten, zurückhaltender mit plakativen Vorstellungen zu sein. Paare folgen nicht den Versimpelungstheorien von C.G. Jung oder Myers-Briggs, sondern versuchen, Ihre Eigenschaften zu einem „Besseren Ganzen“ zusammenzubringen, das in der Regel auf Ergänzung und nicht auf Gleichheit beruht. Was dabei innerhalb der Paarbeziehungen genau vor sich geht, ist nur als Prozess erklärbar – doch auf diesem Gebiet ist die konservative Psychologie bereits überfordert.