Gehen wir einer WELT der UNTREU entgegen?
Wenn sogar Springers WELT am SONNTAG eine eher skeptische Betrachtung über die eheliche Treue bringt, dann ist die Untreue mit Sicherheit in den Köpfen der bürgerlichen Leserinnen und Leser angekommen.
Die Glitzerwelt – Prominente, Wissenschaftler und Seitensprungagenturen
Anlass ist –wie so fort bei Journalisten – das Glitzerlicht, in dem sich Prominente zeigen. Man nennt die Namen, die sich offenbar ganz gut verkaufen. Tilda Swinton zum Beispiel. Nur leben solche Personen in einer Welt, in der nicht erst seit gestern ganz andere Lebensbedingungen herrschen. Als weiteres Indiz sieht die WELT am SONNTAG das steigende Interesse an Seitensprungagenturen. Die Zeitung nennt namentlich „Ashley Madison“, „Lovepoint“ und „Secret“ .
Weil Zeitungen immer nach Beweisen für ihre Thesen im kulturellen und wissenschaftlichen Umfeld suchen, fehlt auch ein Buch nicht: „Treue ist auch keine Lösung“, und dann braucht man natürlich noch Volkmar Sigusch, und von dem führt der „Beweis“ für „anerkannte Beziehungstypen“ dann schnell zur Polyamorie, die angeblich schon eine „richtige Bewegung“ geworden ist.
Wie traditionelle Journalisten die WELT erklären
Der Artikel ist interessant für die Arbeitsweise des etablierten Journalismus: Man hangelt sich von Ast zu Ast mehr oder weniger glitzernde Namen, wirft einige fragwürdige Theorien dazwischen und erklärt dem verdutzen Leser so die Welt. Zeitungsleser sind gegenüber derartigen Artikeln bekanntermaßen höchst unkritisch. Je mehr Namen, Bücher und Theorien zur Verifizierung einer Idee benutzt werden, umso wahrer muss sie sein – da beeindruckt selbst Menschen, die einmal studiert haben. Gehen wir also einer Zukunft der Untreue entgegen?
Die Geschichte lehrt: Seitensprünge kamen überall vor
Stellen wir uns doch zunächst mal ein andere Frage – wo gab es sie denn, die bürgerlichen Perioden der ewigen Treue? Waren sie nicht immer romantische Verklärung? Seit die männlichen Bürger vom Adel abgeguckt hatten, wie sinnlich es sein konnte, Mätressen zu haben, nahm „man“ sie sich einfach. Bei den verheirateten Frauen gab es zwar auch beständig Liebeshändel, doch konnten sich diese nur Frauen leisten, die eine gewisse Unabhängigkeit genossen oder die ihre Seitensprünge mit stiller Einwilligung des Ehemannes ausführten. Dies galt zumal, wenn es auch zu dessen finanziellem Nutzen geschah.
Frauen werden derzeit kalkuliert untreu
Seit es finanziell unabhängige und kalkuliert untreue Frauen gibt, nehmen sich diese die gleichen Rechte heraus wie zuvor die Männer: Seitensprünge werden in Lebenslücken gelegt, die vom Partner nicht einsehbar sind und Frauen sind ebenso erfinderisch wie verschwiegen, wenn es um Affären geht.
Der Normalverdiener und die soziale Unmöglichkeit der Alternativen
Vielleicht sollten wir zurück zu den Wurzeln gehen? Ehe ist ein Vertrag, den wir einhalten sollten. Neue Eheformen wird es nicht geben, weil sie sozial nicht absicherbar sind – das weiß jeder geschiedene Normalverdiener, der Kinder hat. Die Glitzerwelt der Reichen da draußen, die Meinungswelt, die Welt der Geschäftemacher und Ideologen – das ist nicht die Welt, in der die ganz gewöhnlichen Menschen leben.
Menschen werden gelegentlich von leichtfertiger Lust getrieben. Ob, wie, wie lange und wie oft sie ihr nachgehen, ist individuell unterschiedlich, und jeder sollte damit rechnen, dass es ihm oder seinem Partner geschehen könnte. Das ist aber auch alles. Wer die eigene Untreue in einer Ehe hingegen forciert, muss sich fragen lassen, ob er noch „ganz bei Trost ist“.
Es gibt einige, recht wenige Menschen, die mit Wissen des ständigen Partners mehrere sexuelle oder anders motivierte erotische Beziehungen „parallel laufen haben“. Sie mögen das tun, solange sie damit leben können. Die meisten von uns können es nicht, denn der Hafen der Geborgenheit lockt auf Dauer eben doch, und Geborgenheit gibt es nur gegen Vertrauen.
Gehen wir also einer Welt der untreu entgegen? Ich meine: Wahre Untreue setzt voraus, sich in einen anderen Menschen als den Partner zu verlieben. Zufällige oder begrenzte sexuelle oder erotische Untreue ist lästig, sollte aber nicht so ernst genommen werden, wie dies heute oft der Fall ist. Also: Nein, wir gehen keiner Zeit der Untreue entgegen, im Gegenteil. Unsere Jugend sucht bereits wieder die vollständige, unverbrüchliche Treue. Wenngleich sie auf Dauer auch davon abweichen wird, ist es doch tröstlich, dass wenigstens der Wunsch danach besteht.