Die Dynamik der Persönlichkeit und der Paare
Jeder Erwachsene ist im Prinzip jederzeit mit den Fähigkeiten ausgestattet, sich mit einem Menschen des anderen Geschlechts über eine erotische Lebenspartnerschaft zu verständigen. Doch mindestens seit das Bürgertum seine Wertvorstellungen in die Welt brachte und sie zu allem Überfluss auch noch psychologische umkränzte, wird die Frage gestellt: „Passen sie denn auch zueinander“?
In der Blütezeit es Bürgertums wurde diese Frage schon mal ausgesetzt: Die Tochter an den Mann zu bringen, war schwer genug, und da fragte man dann kaum noch nach der „Übereinstimmung“. Die Sorge darum, dass die Mitgift verjubelt würde, war wesentlich größer als das bemühen ums Liebesglück.
Psychologie, Tarockkarten und Tierkreiszeichen als Hilfe?
Dennoch fragen sich bürgerlich geprägte Menschen (und das sind heute fast alle) nach dem idealistischen Schillerschen Spruch, ob sich „das Herz zum Herzen findet“. Dazu werden in der Regel alle Register gezogen: Psychologie, Tarockkarten und Horoskope sind nur einige der Methoden, um die Übereinstimmung „auszupendeln“. Pragmatische Argumente werden nur noch selten gebraucht: Gleiche Bodenhaftung, gleiche Herkunft, gleiche soziale Umgebung zählen beim „Gleich-und-Gleich Ringelrein“ so gut wie gar nicht, und „einander ergänzende Eigenschaften“ sind eine Innovation, die erst in ganz wenigen Tests bewertet wird.
So bleibt die Partnerwahl ein einziges Glücksspiel – vor allem dann, wenn sehr hoch gegriffen wird (also wenn beispielsweise der „Idealpartner“ gesucht wird).
Bei psychologischen Tests steht Behauptung gegen Behauptung. Eine besondere Form der Wissenschaft, die eigens dafür „erfunden“ wurde, untersucht sogenannte „Persönlichkeitsmerkmale“ auf Übereinstimmung. Durch einen geheimnisvollen Abgleich behauptet man, die „passenden“ Persönlichkeitseigenschaften feststellen zu können. Soweit die Wissenschaft, die den Partneragenturen nahe steht. Die Gegenseite hat starke verbündete in der Paartherapie und behauptet, dass
1. Die Eigenschaften falsch gewählt sind.
2. Dies Grundlagen niemals für Partnerübereinstimmungen entwickelt wurden und deshalb nicht relevant sind.
3. Keine verlässlichen Bewertungen für die Kompatibilität bestehen würden, in vulgo: Alles basiere auf unbewiesenen Annahmen.
Ich will mich in diese Diskussion gar nicht mehr so oft einmischen, weil es eine Scheindebatte ist. Denn in Wahrheit existieren die angeblich so manifesten „Persönlichkeitseigenschaften“ nur zu Beginn der Beziehung, um sich dann mit der Beziehung zu verändern. Der Kybernetiker weiß genauer, was passiert:
1. Es entsteht ein neues Gebilde, das WIR. Dies entfaltet eine Eigendynamik, sodass man diesem WIR Eigenschaften entnehmen kann, die zuvor in gleicher Weise nicht beobachtet werden konnten.
2. Das WIR wirkt zurück auf die Person, und das bedeutet, dass sich durch die Rückwirkung auf die Beziehung auch die eigene Persönlichkeit verändert.
3. Durch die Beziehung werden zugleich Regulierungsprozesse in Kraft gesetzt, die in der Beziehung für das Gleichgewicht und die Zufriedenheit sorgen sollen. In der guten Beziehung entwickeln sich diese „Spiralen“ positiv. Beide Teile gewinnen, und das Paar gewinnt dadurch an Kraft.
4. Im Idealfall, den wir anstreben, wirkt die Spirale dreifach positiv: WIR entwickeln uns zu einem PAAR, und DU und ICH modifizieren dabei die eigene Persönlichkeit zur beidseitigen Zufriedenheit.
5. Wirkt die Spirale negativ, leidet die Beziehung und wirkt zurück auf beide Partner. Das ist die übliche Situation, in der man auseinandergeht oder eine Paartherapie aufsucht.
Wir sehen daran recht deutlich, wie wenig die Anfangsbedingungen für eine Beziehung relevant sind – erst die Dynamik macht aus „DU und ICH“ ein WIR, DU und ICH.
Was ist also wichtig, um eine Beziehung erfolgreich zu schließen? Vor allem eine Eigenschaft, die völlig vergessen wurde: Problemlösungskompetenz, dann die oft ungeliebte Kompromissbereitschaft und schließlich die sinnreiche Ansicht, Veränderungen als Chancen zu begreifen.
Der Charakter? Die Persönlichkeitsmerkmale? Möglicherweise spielen sie für den Erfolg von Beziehungen gar nicht die Rolle, die wir ihnen zumessen – und vielleicht haben Psychologen einfach die falschen Persönlichkeitsmerkmale gewählt, als sie die üblichen Partnerübereinstimmungstests entwickelten.
Der erste Teil dieser Betrachtungen erschien bereits zu Anfang November in der Liebepur.