Partnersuchende: Vorsicht mit dem Urteil der Psychologen
(Liebepur Wissenschaft, 23. August 2011) Die Wissenschaft, so sagen uns immer mehr Magazine, habe derzeit völlig neue Erkenntnisse darüber, welche Partnerschaften erfolgreich seien. Das klingt sehr gut, nicht wahr?
Glück oder Stabilität – der Partnersuchende ist ratlos
Schwieriger wird die Sache schon, wenn man fragt: „Und um welchen Erfolg geht es dabei?“ Wir haben erst kürzlich lesen können, wie unterschiedlich Menschen bei Befragungen reagieren. Wird nach dem Erfolg einer Partnerschaft im menschlichen Glück gefragt, so wird anders bewertet als wenn nach der „stabilen“ Partnerschaft gefragt wird. Beispiel „finanzielle Sicherheit“. Nur 13 Prozent der Befragten glaubten, dass ihr Partnerglück daran hinge, während 56 Prozent der Überzeugung waren, dass die Stabilität ihrer Partnerschaft davon abhinge. (Die Statistiken dazu hier bei der Liebepur). Der Partnersuchende steht nun ratlos da: Soll er nun nach Stabilität schauen oder nach dem gemeinsamen Glück? Würde es ihm um Stabilität gehen, so würden der „Lebensplan“ und das „Wertesystem“ ganz oben auf der Skala stehen, würde hingegen das Glück anstreben, so wären die gegenseitige Unterstützung bei den Wechselfällen des Lebens und die Kompromissbereitschaft beider Partner wesentliche Kriterien.
Die neue Einseitigkeit: Die Wiedererweckung der Gleichheitstheorie
Vor diesem Hintergrund wird jede Art von „wissenschaftlicher“ Betrachtung der Partnerwahl zum Glücksspiel, doch sobald man dies behauptet, bekommt man Gegenwind von der Dating-Branche. Nachdem es einige Zeit etwas stiller um die Homogamie („Gleichheit in Beziehungen“) geworden war, stehen jetzt wieder Wissenschaftler auf, die behaupten, darin den Stein der Weisen gefunden zu haben. Interessanterweise sind diese Damen und Herren zwar überwiegend theoretisch arbeitende Psychologen, aber keine großen Logiker. Gegensätzlichkeiten und Gleichheiten sind nämlich keine Gegensätze als solche, sondern bilden ein Modell der Ergänzungen, das in einem Prozess der Bindung aneinander ein „neues Ganzes“ bildet.
Der Unsinn der Gleichheits- und Gegensätzlichkeitstheorie
Bereits 1975 wies der bekannte schweizerische Buchautor, Psychotherapeut und Paartherapeut Jürg Willi auf den Unsinn der Diskussion um die Gleichheits- und Gegensätzlichkeitshypothesen hin. Im Kern sagt er, dass sich beide Hypothesen nicht ausschließen müssten. Wer noch etwas weiter gehen will, kann dies sagen (modifizierte Aussage):
Es gibt Gleichheit im Gegensätzlichen und Gegensätze im Gleichen, und zwar immer dann, wenn man die Betrachtungsweise verändert.
Insbesondere „Persönlichkeitsmerkmale“ sind deswegen ausgesprochen fragwürdig, denn, so Willi:
Jeder erlebt und verhält sich als Persönlichkeit anders, je nachdem, mit welchem Partner er in Interaktion steht.
Das tatsächliche Verhalten oder die theoretische Persönlichkeit?
Nur als Randbemerkung für wissenschaftlich Interessierte sei hier erwähnt, dass Willi richtigerweise vom „tatsächlichen Verhalten“ ausgeht, während seine forschenden Kolleginnen und Kollegen von „Persönlichkeitsmerkmalen“ ausgehen, die sie für weitgehend unveränderlich halten – ein schlimmer wissenschaftlicher Fauxpas, wie ich meine.
Die Lebenspraxis widerlegt angeblich plausible Kriterien
Wir hörten gerade, dass nun außer den angeblich stabilen „Persönlichkeitsmerkmalen“ auch noch Ähnlichkeiten in „Einstellungen“ und „Wertorientierungen“ eine Rolle bei der Partnerwahl spielen sollen. Auch dies kling zunächst überzeugend, wird aber durch die Lebenspraxis widerlegt.
Nehmen wir einmal Werte. Zwar orientieren wir uns oft an Grundwerten, aber das Menschsein zeigt sich darin, sie auch einmal an der Garderobe abzugeben. Wer beispielsweise zumeist völlig eigenverantwortlich lebt und handelt, möchte sich auch einmal gerne fallen lassen. Fragt sich, was in der Beziehung wichtiger ist. Noch schwammiger sind „Einstellungen“ zu bewerten – sie ändern sich mit Fug und Recht im Laufe des Lebens, denn sie sind abhängig vom Lebensverlauf und den darin gesammelten Erfahrungen.
Paare sollten kritisch gegenüber psychologischen Forschern sein
Der Wunsch der zukünftigen Paare, etwas über ihr zukünftiges Glück zu erfahren, ist verständlich. Man muss ihnen aber sagen, dass die Denkgebäude der Psychologie auf schwankendem Boden aufgebaut sind. Gleich, ob man vom „Ich“, vom „Selbst“ oder von „der Persönlichkeit“ ausgeht: Fast immer wird an „unveränderlichen“ Merkmalen der Person herumgeforscht, und nicht am tatsächlichen Verhalten. Unberücksichtigt bleibt auch, dass sich die Persönlichkeit beider Partner während langjähriger Beziehungen idealerweise „aufeinander zu“ entwickelt und sich ihre Eigenschaften dadurch ergänzen. Seien Sie also äußerst kritisch, wenn der „Psychologe spricht“ – dann spricht nämlich möglicherweise nur der Psychologe zu seinen Kollegen, – aber er spricht dann nicht zu Ihnen, sondern über Sie.
Zitat von Jürg Willi: „Die Zweierbeziehung“. Reinbeck 1975.