Das Bildungsniveau, die Augenhöhe und der Standesdünkel
Das Erstaunlichste, was ich in den letzten Monaten lesen konnte, ist die immer wieder vorgebrachte Behauptung, weibliche Akademiker wollten „auf Augenhöhe“ heiraten.
Nun mag der Wunsch durchaus vorhanden sein, aber die Realität sieht ja wohl so aus, dass die Masse der heutigen Akademikerinnen aus Aufsteigerfamilien stammt. Die „Augenhöhe“ wird dabei zur reinen Illusion: Sie kann praktisch nur noch daran festgemacht werden, ob der Partner eine sinnvolle Ausbildung hat, mit der auch ausreichend Geld verdient. Der Geschäftsführer der Online-Partnervermittlung Elite Partner, Dr. Jost Schwaner, sagte dazu kürzlich in einem Beitrag des Elite-Magazins:
«Wir stellen unseren Mitgliedern Partner mit ähnlichem Bildungsniveau vor. Mit dem Bildungsniveau steigen die Ansprüche der Frauen.»
Nun ist Bildungsniveau nicht identisch mit sozialem Status, denn der Status wird erst durch die gesellschaftliche Stellung erworben – alternativ durch hohes Einkommen. Darüber hinaus spricht die Mode mit – mal ist es ein schmucker Uniformträger, der in der Liste der Frauen ganz oben steht, mal der Chefarzt oder der Stararchitekt, und neuerdings (laut ElitePartner) wohl auch wieder der Journalist (28 Prozent der Nennungen), wobei die Frauen sich gerade über diesem Beruf möglicherweise die größten Illusionen machen: Man schreibt auch beständig über Kaninchenzüchtervereine.
Das sogenannte „Bildungsniveau“ ist schon deswegen eine Illusion, weil es sehr unterschiedliche Arten von Bildung gibt: Die Bildung des Geistes ist nicht gleich der Bildung der Psyche und diese wiederum nicht gleich der sozialen Bildung. Setzt man nun statt „Bildung“ in den Satz „Fähigkeiten“ ein, so wird die Sache noch einmal schwieriger: Die geistigen, psychischen und sozialen Fähigkeiten sind dreierlei – und für Beziehungen sind die geistigen Fähigkeiten nicht unbedingt entscheidend. Verfeinert man nun noch, dann wär nur die Fähigkeit, den Geist sinnvoll und ertragreich zu verwenden, die Basis für die beschriebene Art von „Augenhöhe“, während das psychische Gleichgewicht und die soziale Kompetenz kaum eine Rolle spielen würde.
Die Frage ist übrigens nicht, ob der Chefarzt die Krankenschwester heiratet oder die Chefärztin den Krankenpfleger. Das sind journalistische Schmankerln, die gerne an die Leserschaft verfüttert werden. Die Frage ist vielmehr, ob die erfolgreiche Studienrätin den mäßig erfolgreichen Musiker heiratet, die Ärztin den Maler, der kaum Bilder verkauft und die Architektin den Schriftsteller, der sich mühsam auf einem Einkommen hält, bei dem andere bereits Hartz IV beantragen würden.
Abgesehen vom Gerede über Augenhöhe und den „neuen Standesdünkel“ der Akademikerinnen und Akademiker: Paare, die zusammen passen, sollten ähnliche Vorstellungen davon haben, wie sie ein gemeinsames Leben führen könnten. Wer da ständig auf dem Dünkel der Akademikerinnen und Akademiker herumreitet oder nichts zu verkaufen hat als seine schöne Larve, der sollte sich beizeiten daran erinnern, dass Menschen vor allem miteinander leben müssen – und das ist die eigentliche Herausforderung, die eine völlig andere Art von „Bildung“ erfordert.