Der Preis für Sex fällt – steigt der Preis der Beziehung?
Das Modell, das der Soziologe Mark Regnerus von Frauen und Männer entwirft, ist recht konservativ, aber immer noch zutreffend: Im Prinzip wollen Männer (immer noch) mehr Sex als Frauen. Der Markt für den Zugang zum Sex wird deshalb weiterhin von Frauen reguliert: Schließen sie den Zugang zu den Ressourcen, so wird der Sex teurer, das heißt, der Mann muss sich stärker anstrengen, um seine feuchten Träume bei „anständigen“ Frauen zu verwirklichen. Öffnen die Frauen aber die Schleusen, so wird der Markt mit Sex überschwemmt: Nach den üblichen Marktgesetzen wird Sex daher „billiger“, also sozusagen für jeden Mann verfügbar.
Kurz: Obwohl Frauen weiterhin in der Hand haben, den Zugang zum Sex zu regulieren, fällt der Preis, weil Frauen heutzutage kaum noch Gegenleistungen für Sex verlangen (also beispielsweise lange Zeiten des Werbens, häufiges Ausgehen oder einen Verlobungsring). Deshalb, so der Soziologe, sei der „Preis“ für Sex gegenwärtig „sehr niedrig“.
Billiger Sex, teure Beziehungen?
Doch während Sex offenbar billiger wird, werden Beziehungen möglicherweise teurer: Die Waagschalen zwischen erfolgreichen jungen Frauen und erfolgreichen jungen Männern tendieren immer mehr zu einem Übergewicht der Frauen im urbanen Bereich – jedenfalls in den USA. Der Preis für Beziehungen wird dabei vor allem dann höher, wenn die alte Anforderung bestehen bleibt: Der Status des Mannes soll noch höher, die Bildung noch besser sein.
Fragwürdige Grundlagen – fragwürdige Folgerungen
Ob die Grundlagen und die Folgerungen des Soziologen stimmen? Zweifel sind angebracht. Zwar ist Sex verfügbarer geworden, aber nicht erst seit gestern, und zwar wird Sex schneller gesucht und gefunden – aber dennoch dauerte es bei den US-amerikanischen Männern noch recht lange, bis ihnen „die Börse geöffnet wird“: Die untersuchenden Soziologen zählten nämlich nicht, wann die Männer den Sex nach dem ersten Date hatten, sondern nach dem (typisch US—amerikanischen) Beschluss, „zusammen zu gehen“, („exclusivity“) der in der dortigen Datingkultur oft viel später gefasst wird – erst „Ende der zweiten Woche“ dieser Zeit kam es bei der Mehrheit von 36 Prozent zum Sex.
Zudem nimmt (jedenfalls in Europa) die Zahl der jungen Männer zu, die von den schon im Jugendalter ausgesprochen leckeren jungen Frauen sexuell einfach nicht „abgeholt“ werden – und auf der Spitze des Eisbergers frieren dann die lamentierenden „männlichen Jungfrauen“, die mit 25 „noch niemals Sex“ hatten. Insofern scheint wenigstens die These zuzutreffen, dass der „Markt für Sex“ von Frauen reguliert wird.
Sex ist spektakulär – aber was ist mit den Beziehungen?
Im Grunde allerdings – und hier sehe ich ein Problem – ist die Frage des „Marktzugangs“ zum Sex eher ein Thema, das man in den Bereich der soziologischen, psychologischen und ökonomischen Sandkastenspiele verlegen sollte. Wichtiger wäre die Frage, warum Beziehungen immer „teurer“ werden, denn die „Marktteilnehmer“ haben jederzeit die Möglichkeit, zuzugreifen. Da stehen sie nun überall, die simplen Tränken aka Singlebörsen und die exklusiven Tränken aka Online-Partnervermittlungen, und offenbar sammeln sich hier auch (um mal von Marktgeschehen wegzukommen) auch die Menschen, die nach Beziehungen lechzen. Doch sind sie alle an der Tränke angekommen, dann saufen sie nicht – jedenfalls nicht vom Wasser der Erkenntnis, das man zu zweit sinnreicher und erfüllter leben kann als allein.
Mit der Zeit altern wir vor allem – leichter wird es nicht
Eine der Gründe dafür ist sicherlich der übertriebene Narzissmus der Partnersuchenden, die in einer monströsen Selbstüberschätzung gipfelt. Doch das Schlimmste ist: jeder, der so denkt, belügt sich selber, denn mit jedem Tag über 25 werden wir merkbar älter – zunächst noch unbemerkt, bis sich die erste Sehschwäche, die erste standhafte Falte und das erste graue Haar zeigen und uns deutlich machen: die Zeit ging nicht spurlos an uns vorüber. Viele Frauen bemerken erst gegen 35, dass sie die Kurve nicht bekommen haben, denn bereits ab diesem Alter beginnt die Attraktivität wieder abzusinken. Wenn Sie Attraktivität gleich Marktwert setzen, dann kommen wir wieder auf die Gesetze des Marktes, die unerbittlich sind.
Zuerst gelesen in der „Berner Zeitung“ – Original in SLATE. Die „Beweisführung“ in beiden Artikel ist identisch und wirkt reichlich konstruiert.