Vom Sinn und Unsinn der Persönlichkeitsbeurteilung
Ich habe versprochen, heute auf etwas einzugehen, das vielen Unternehmen der Dating-Branche peinlich sein dürfte:
Die meisten Unternehmen arbeiten mit psychologischen Methoden aus den 1950er• Jahren, die Ihrerseits wieder auf die Anfänge der Psychoanalyse zurückgehen. Um Paare des 21. Jahrhunderts zu verkuppeln, werden also im Prinzip Methoden des frühen Zwanzigsten Jahrhunderts verwendet. Die Dating-Unternehmen gehen dabei ausgesprochen blauäugig vor, und behaupten beispielsweise gegenüber der Öffentlichkeit, über hieb- und stichfeste Methoden der Menschenbeurteilung und der Partnerübereinstimmung zu verfügen. Das wäre an sich nicht weiter schlimm, wenn die Methoden unstrittig wären – das sind sie allerdings keinesfalls.
Dies alles mag der eine Grund sei, warum der Ökonom Dan Ariely behauptet, dass unsere Matching-Systeme gar nicht funktionieren können. Dan Ariely weist aber noch auf ein weitaus brisanteres Phänomen hin: Wir sind mehr als die Summe unserer Eigenschaften. Bislang gab es keinen Test, der die Summe der Eigenschaften zu einer Gesamtpersönlichkeit zusammenfügen konnte, und möglicherweise wird es auch nie einen geben. Das Phänomen ist als Elefanten-Parabel bekannt. Es lässt sich durch Kommunikation auflösen – aber dazu muss man eben erst einmal kommunizieren.
Einfacher ausgedrückt: Menschen muss man persönlich kennenlernen, wenn man sie wirklich verstehen will.
Die zweite Annahme ist professoral und möglicherweise sogar falsch. Dan Ariely behauptet, „… dass die Angaben … nicht wirklich verlässlich sind …, weil sich (die Leute) anders darstellen, als andere sie wahrnehmen.“ Nun haben die psychologisch geschulten Menschen unter Ihnen zwar noch gelernt, dass unser Selbstbild von unserem Fremdbild möglicherweise abweicht – aber diese These ist nicht mehr aktuell. Wahrscheinlicher ist, dass wir mehrere Selbstbilder haben und andere mehrere Fremdbilder von uns, und auch hier ist anzunehmen, dass ein halbwegs korrektes Bild ausschließlich durch Kommunikation entstehen kann. Die Forschungen, die der Psychiater Ronald D. Laing darüber angestellt hat, sind leider völlig in Vergessenheit geraten. („Das Selbst und die Anderen“). In ihr wird festgestellt, dass es nicht nur ein Selbstbild und ein Fremdbild gibt, sondern auch noch mehrere Annahmen über Selbst- und Fremdbilder, die das Gesamtbild der Persönlichkeit stören – und das betrifft auch den „an sich“ psychisch gesunden Menschen.
Was entnehmen wir daraus und wir erklären wir es einfacher? Nun, vielleicht so:
Kein neuer Partner (vor allem aber kein sehr privater, intimer Partner) schätzt Sie genauso ein wie die Menschen, die Sie zuvor kannten – es ist deshalb relativ sinnlos, auf Fremdeinschätzungen aufzubauen.
Ich würde Sie gerne noch mit einer anderen Komponente vertraut machen: der Zufälligkeit bei Tests. Dazu schlage ich Ihnen vor, den gleichen Test mehrfach zu machen: am frühen Morgen, nach einem erfolgreichen Geschäftsabschluss, nach einer tiefen Enttäuschung und unter Einfluss eines Enthemmers (zum Beispiel ein Glas Wein). Sehen Sie sich bitte niemals die Ergebnisse an. Machen Sie nur den Test. Warten Sie ein halbes Jahr, dann beginnen Sie noch einmal von vorne. Nun, ich vermute, dass ihr Test jedes Mal ein klein wenig anders ausfallen dürfte.
Dazu kommt: Es gibt Menschen, deren Persönlichkeit sich mit Tests deshalb nicht erfassen lässt, weil sie mehrere gegensätzliche Komponenten in sich vereinen und situativ mal zur einen Richtung, mal zur anderen neigen. Die eindimensionalen Denker unter Ihnen dürfen sich jetzt entsetzt an die Stirn greifen, aber tatsächlich sind solche Menschen ganz hervorragende Partner, wenn man dieses Verhalten kennt und akzeptiert – nur für Tests ist diese Persönlichkeitsstruktur eben völlig ungeeignet.
Dabei ergibt sich natürlich die Frage: Was machen Sie, wenn Ihr Test Sie nicht befriedigt? Wenn Ihnen der Psychologe dann entgegenhält, sie hätten ein falsches Selbstbild, erklären Sie ihn im „richtigen Leben“ als selbstsichere Person vermutlich für völlig inkompetent. Erstaunlicherweise neigen manche Partneragenturen allerdings dazu, Ihnen im vergleichbaren Fall im Internet zu sagen, dass Sie in diesem Falle doch bitte einmal ihr Selbstbild überprüfen sollten. Arroganter geht es kaum noch.
• Das Verfahren „Myers-Briggs“ wurde angeblich „während des zweiten Weltkriegens“ entwickelt und erschien erstmals 1962. Die Autorinnen berufen sich auf den Schweizer Psychoanalytiker Carl Gustav Jung, dessen Kenntnisstand zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich überholt war.