Partnerwahl: von der Scheuklappensuche zur Genusssuche?
Die Menschen, die heute zwischen 50 und 65 Jahre alt sind, können mit Fug und Recht als „Nachkriegsgeneration“ bezeichnet werden. Diese Geburtsjahrgänge waren bisher noch weitgehend traditionellen Regeln der Partnerwahl verhaftet, die ungefähr so anklingen:
Bei Männern:
Entweder man sucht sich eine Partnerin fürs Bett oder man sucht sich eine Frau zum Heiraten. Beides zusammen geht nicht, weil die Frauen, die fürs Bett da sind, zu einer anderen „Sorte“ gehören, als diejenigen, die man heiraten würde.
Bei Frauen:
Eine anständige Frau sucht immer einen Partner zum Heiraten oder für eine dauerhafte Beziehung. Es kann man sein, dass man in eine Affäre hineinschliddert. Aber man trifft sich nicht mit Männern, um Affären zu haben.
Die Bücher und Schriften der damaligen wie auch der heutigen Zeit sind voll von Lamentos der Frauen, wenn Männer auf „Edel-Dates“ dennoch den Vorschlag machten, dass man die „Beziehungsqualitäten ja auch anderweitig gestalten könnte“ – oder mit anderen Worten: Statt vor dem Traualtar landete man im Bett. Der Kommentar am „Lendemain“, also am Tag danach war dann keinesfalls: „Ich habe es gewollt und genossen“, sondern chargierte von „der Schuft hat mich ins Bett gelabert“ bis zum verzweifelten: „Was habe ich da nur getan? Ich weiß selbst nicht mehr, warum ich es tun konnte!.“
Was wollen die 40-Plus-Jahrgänge? Wirklich nur die Ehe?
Gehen wir mal in die Jetztzeit, und sehen wir speziell auf die 40-Plus-Jahgänge. Die Online-Partneragenturen bauen in der Werbung bisher weiterhin auf die konservative Grundhaltung, dass ihre Mitglieder mit Scheuklappen durch die Datinglandschaft laufen würden: Vorne lockt nicht als das Ziel, und das Ziel heißt Ehe (oder eine der Ehe entsprechende, langdauernde Beziehung). Ist das Rennen gestartet, dann laufen die Partnersuchenden alle in eine Richtung.
Aber halt: Das war vielleicht einmal so, ist aber von der Realität inzwischen weit entfernt. Wer sich die Scheuklappen der Heirats-Ziel-Suche anlegt, verliert sehr schnell den Sinn für den Genuss, den die Partnersuche bietet. In Wahrheit ist es kein Pferderennen mit Scheuklappen, sondern eine genussvolle Suche nach Kontakten, mit denen sich das menschliche Glück verwirklichen lässt. Auf der Suche nach der „richtigen“ Partnerin oder dem „richtigen“ Partner bleibt gar nichts aus, dass man ein paar „weniger Richtige“ Personen trifft, die aber körperlich durchaus attraktiv sein können. Warum sollte man sie ignorieren? Wäre damit etwas gewonnen? Oder würde man dem anderen Schaden, wenn man ihn nur für ein Wochenende glücklich machen würde? Ja sicher, es kommt auf die Situation an, nicht wahr? Mal würde man dazu tendieren, dass es einem Nutzen bringt, mal würde man den Schaden kalkulieren, den es einbringen könnte.
Frauen haben sich verändert – lustvolle Erlebnisse durchaus möglich
Bis vor einigen Jahrzehnten hätten Frauen recht gehabt, wenn sie ein solches Verhalten der Männer bei Dates rügen würden. Doch bereits während der 1970er Jahre zeichnete sich eine Tendenz ab, die stärker und stärker wurde: Frauen wollten von sich aus lustvolle Erlebnisse, annoncierten gar, sie suchten „neue Begegnungen in Körper, Geist und Seele“ und suchten sich Lover in Hotelbars und auf Auslandsreisen, um die Lust zu genießen.
Seither trifft man ich mehr und mehr ausschließlich zum Blind Date, um „abzuchecken“, ob man eine gemeinsame Zukunft hat, sondern auch, ob man eine gemeinsame, kurze Gegenwart riskieren möchte, die gemeinhin „Affäre“ genannt wir – jeweils abhängig von der Situation und der Leichtlebigkeit der Beteiligten. Seither legen Frauen auch mehr und mehr das Korsett der Wohlanständigkeit ab, das in den 1960er Jahren noch zu jedem „seriösen“ Date gehörte: Auf keinen Fall selbst zu zeigen, dass man bereit wäre, eine “kleine Sünde“ einzugehen. Spätestens seit den 1980er Jahren gibt es glaubwürdige Berichte, dass Frauen in den Prozess, der zum Bett führt, lenkend eingegriffen haben, wenn der Mann sich nicht traute, den Vorschlag zu machen.
Fröhlichere und natürliche Partnerwahl gewünscht – auch online
Die Kernfrage der Zukunft wird sein: Was tun Menschen, die eine fröhliche, natürliche Partnerwahl ohne Scheuklappen anstreben? Werden sie, wie manche befürchten, nun von den Singlebörsen wahlweise ins Casual Dating oder in die „seriöse“ Partnersuche abwandern? Oder wird das Casual Dating die Singlebörsen ganz ersetzen? Wie weit werden sich die Partneragenturen Menschen öffnen, die eine fröhliche, offenere und weniger konservative Partnersuche anstreben aber dennoch keine „Schlampen“ und „Filous“ treffen wollen?
Wie Casual Dating den gesamten Markt aufmischt
Die „dritte Kraft“, das Causal Dating, hat die gesamte Dating-Branche aufgemischt. Sie ist nicht, wie zu Anfang gedacht, der Markplatz des Bösen und Unanständigen, sondern erfüllt das Bedürfnis vieler Menschen nach einer sinnlichen Partnerwahl – und sie sie auch nur, um die Zeit bis zur festen Beziehung zu überbrücken.
Kaum ein Unternehmen der Branche macht sich keine Gedanken über die offenere, mehr auf Freude am Leben und Lieben bedachte Partnerwahl der heutigen Zeit, denn die Mitgliederwanderung betrifft alle Unternehmen in der einen oder andern Weise. So bleibt den Unternehmen gar nichts anderes übrig, als sich neue Märkte zu erschließen – sei es um das Segment der fröhlicheren oder der sinnlicheren Partnersuchenden abzudecken.
Die alten Zeiten, in denen man sich auf konservative Wertbezüge der Partnerwahl berufen konnte, sind jedenfalls nun vorbei – und weil alle Unternehmen vom Umsatz leben, müssen sich eben auch alle etwas einfallen lassen, wie sie sich den neuen kulturellen Gegebenheiten anpassen können – oder sich auch den Markt konservativer, elitärer Partnersuchender zurückziehen, der natürlich ebenfalls noch vorhanden ist. Doch ob „konservativ sein und bleiben“ die erforderlichen Umsätze aus den Massen bringt, die jetzt mit ruinös eingesetzter Fernsehwerbung angelockt werden sollen? Ich bezweifle es.