Die Enteignung der Persönlichkeit
Unsere Persönlichkeit ist ein Teil dessen, was wir als „Würde des Menschen“ betrachten, und sie ist unantastbar. Das interessiert unsere Umwelt in der Regel recht wenig, denn von Kindesbeinen an krittelt sie an uns herum – den einen trifft es mehr, den anderen weniger. Man sendet uns Botschaften: „Nutze deine Anlagen“ – ja, aber wehe du tust es, wenn deine Anlagen und Fähigkeiten nicht in das Korsett passen, das man dir angelegen möchte. Die Menschen in unserer Umgebung sind zumeist weder klug genug, unser wahren Anlagen, Fähigkeiten und Lebewünsche ernst zu nehmen, noch geben sie sich die Mühe, diese wirklich zu verstehen. Spätestens kurz nach der Pubertät oder bei der Berufswahl finden wir uns wieder – mit unzähligen Etiketten belegt, Schuhkartons eingeordnet und abgestempelt. „Wir sehen dich so, also, bis du so“ ist die Botschaft.
Manchmal bewahrt uns das gütige Schicksal davor, so zu enden: Abgestempelt und etikettiert im falschen Schuhkarton zu landen. Dann fanden wir wenigstens einen Menschen, der mehr in gesehen hat als den Einser- oder Sechserschreiber, den stromlinienförmigen Anpasser oder den Rebell. Die Mehrheit aber genießt solche Privilegien nicht: Sie wird eines Tages ihr eigenes Selbstkonzept entwickeln müssen, wird sinngemäß diese Botschaft an andere senden müssen:
Seht, Mitmenschen – ich bin nicht auf der Welt, um euch zu gefallen, sondern um euer Leben in vielfältiger Weise zu bereichern, so, wie ihr dazu beitragt, mein Leben zu bereichern, auch wenn ihr mir nicht immer gefallt. So, wie ihr mich seht, seht ihr mich möglicherweise unvollkommen – also gebt euch bitte Mühe, mich im rechten Licht zu sehen. Ich selbst will meinen Teil dazu tun, damit euch dies möglich ist.
Die Notwendigkeit, sich selbst zu kennen
Starke Worte? Nein, eine Notwendigkeit – und vor allem bei der Partnersuche. Es kling vielleicht Arrogant, aber es ist die Wahrheit: “Ich bin nicht auf der Welt, nur um dir zu gefallen, sondern um dich und unser späteres gemeinsames Leben zu bereichern“.
Um das sagen, muss man sich freilich kennen. Wer nicht weiß, wer er ist, der weiß auch nicht, was er für andere sein könnte. Durch die Verbindung mit einem anderen Menschen soll etwas Neues, etwas Eimalige entstehen – und nicht einfach „ein weiteres Paar zu den Paaren hinzugefügt werden“.
Psychotests können Zweifel säen und Umdeutungen erzwingen
In dieser Situation an einem Psychotest teilzunehmen, ist nur dann sinnvoll, wenn man seiner Persönlichkeit sicher ist. Wenn man es nicht ist, werden Zweifel gesät und Umdeutungen vorgenommen. Das Ergebnis der Tests bedeutet gar keine Persönlichkeitsbewertung, wie man uns nur allzu gerne einredet, sondern es ist nur ein Test. Der selbstbewusste Mensch stutzt und lächelt, wenn er sich im Ergebnis nicht wiederfindet. Nur der wenig Selbstbewusste, der Naive, der Labile und der Schwache glaubt, dies alles entspräche „seiner authentischen Persönlichkeit“ – und man bedenke: Dies alles bei einem Test, deren Kriterien geheim gehalten werden.
Die Tests für die Partnerschaft entsprechen einem Enteignungsversuch der Persönlichkeit: Nicht die Person darf sich definieren, sie wird durch andere definiert, und diese Definition wird sogar als Maßstab für das zukünftige Lebensglück genommen.
Korrekturen der Sichtweise – Tests sind nur Tests
Sollte man sie deswegen in Bausch und Bogen verdammen, diese Tests? Erstens kann man sie nicht verdammen, weil sie die Grundlage der Online-Partnervermittler sind. Sie haben keine andere Grundlage, also brauchen sie die Tests. Zum Zweiten kann man dies Tests entrümplen und die Meinungen über Menschen und ihren Charakter herausnehmen, die nun so langsam ins Greisenalter kommen. Zum Dritten aber – und das ist das Wichtigste: Könnte man diese Tests relativieren und beispielsweise sagen: „Ja, wir heben Ihnen hier ein Hilfsmittel – wenn Sie klug handhaben, dann erleichtert es Ihnen die Suche nach dem passenden Partner.“ Wenn dies alle tun würden – dann wäre die Welt etwas wahrhaftiger, ehrlicher und transparenter geworden.
Also: Lassen Sie sich ihre Persönlichkeit nicht enteignen. Sie sind Sie und die Tests sind die Tests, und wenn beide zueinanderpassen, welch ein Glück – und wenn nicht, dann lächeln Sie einfach darüber.