Die Moral, der Seitensprung und die Retter
Menschen könnten kaum unterschiedlicher sein als Siegbert Lehmpfuhl und Constantin Dietrich. Ersterer versucht im Namen von Moses, Jesus von Nazareth, Paulus und nicht zuletzt Gott Ehen zu retten und zu stablisieren, während Letzterer gerade gemeinsam mit Noel Biderman das deutschsprachige Portal der Seitensprungagentur Ashley Madison aufbaut.
Selbstverständlich haben beide nicht dieselben Interessen – Ashley Madison will ihren Anteil am Kuchen der Seitensprungagenturen, während das Team F. von Siegbert Lehmpfuhl die christliche Ehe vor Zerstörung retten will. Kein Wunder, dass die üblichen Verdächtigen nun aufgewacht sind: kath.net jedenfalls stellte die Konzepte nebeneinander – und natürlich gewinnt dabei „Team F.“.
Zweifelhaft bleibt, ob das Eine wie das Andere sinnvoll ist. Nur sehr wenige Menschen in Deutschland verstehen ihre Ehen als „christlich“, doch ist dies kaum der Grund für die vielen Ehescheidungen. Diese Scheidungen entstehen überwiegend aus unterschiedlichen Entwicklungen während einer langen Lebenszeit und aus der Unzufriedenheit mit dem Leben, das daraus resultiert – und sicherlich auch aus einer gewissen Leichtfertigkeit.
Man kann, man sollte und man muss vielleicht überlegen, was dagegen zu tun wäre. Aber Seitensprünge kontra Eheseminare zu stellen, ist ein Treppenwitz, und ob das eine wie das andere Ehen „rettet“ ist nicht bewiesen.
Einer der Punkt, über die zu diskutieren wäre: Heimliche Bordellbesuche oder einmalige Fehltritte der Männer haben Ehen nur selten gefährdet, doch die Frauen hatten offiziell keine Möglichkeiten, solche Seitenwege zu wählen. Inoffiziell haben die Frauen zwar schon immer heimliche Affären gehabt, aber jetzt kommen einige (und immer noch sehr wenige) an die Ohren der Ehemänner oder gar an die Öffentlichkeit. Wer wirklich genau hinsieht, der weiß: Nicht die gelegentliche Untreue an sich, sondern das Hineintragen der Beziehungen in eine (wie auch immer geartete) Öffentlichkeit führt zu Entdeckungen und damit zum Seelenschmerz und als Folge davon zu Trennungen und Ehescheidung.
Wer seine Ehe „retten“ will, muss also vor allem Prioritäten für sein Leben setzen. Der Ehepartner muss die Nummer eins bleiben, und weder körperlich, noch geistig, noch emotional dürfen andere Menschen die Oberhand gewinnen. Das Problem bei den meisten Seitensprüngen dieser Erde ist die Entwicklung von Gefühlen für den Seitensprungpartner, nicht der reine körperliche Vollzug der Sexualität. Vielleicht sollten wir uns darauf besinnen, was mehr Wert hat: der Erhalt von Liebe, Sinnlichkeit und Geborgenheit oder die schnelle Lust, die ohnehin am nächsten Morgen abgeflaut ist. Diese Aufforderung richtet sich gleichermaßen an die gehörten Ehemänner wie an diejenigen Frauen, die Männern Hörner aufsetzen. Obwohl es umgekehrt auch zutrifft: Die Behauptungen, Seitensprünge gingen immer vom Mann aus, ist eine Boulevardpresse-Weisheit. Die rasche Verbreitung von Seitensprungagenturen wäre gar nicht möglich gewesen, wenn es nur wenige Frauen gäbe, die zum Seitensprung bereit wären.
Titelfoto © 2009 by lumachrome