Zurück bleiben die Deppen … Dating in strukturschwachen Regionen
Man läuft Gefahr, jemandem wehzutun, wenn man das schreibt, was ich Ihnen heute sagen will – nach langem Zögern. Denn wenn meine Kollegen und ich über „Dating“ schreiben, dann schreiben wir in Wahrheit über die besonderen Bedingungen des Kennenlernens in Städten – eigentlich sogar in Großstädten. Die Provinz lassen wie „links liegen“. Warum eigentlich?
Bereits die Kleinstadt ist Ödland, wenn es um das Kennenlernen im Internet geht. Im Grunde kennt dort zwar nicht „jeder jeden“, aber diejenigen, die in der Kleinstadt eine besondere Rolle spielen, bilden Cliquen. Wer dazugehört, steht bereits im Lichte der Öffentlichkeit – und wehe dem jungen Mann aus der Großstadt, der des Gymnasialdirektors Töchterlein kennenlernen will. Mit dem kann man nicht mal einfach in den „Ochsen“ gehen oder in den „Adler“, ohne dass getuschelt wird. „Seht mal, den da, der passt doch nicht zu (… ) und hier können Sie jeden Ort unter 40.000 Einwohnern einsetzen. An den Stammtischen wird mit Sicherheit getuschelt: Der „Reingeschmeckte“, der „Schnellschwätzer“, ja was will der eigentlich hier? Man braucht starke Nerven, wenn man erfährt, dass der Familienrat gerade beschlossen hat, das Paar demnächst zu verloben – natürlich ohne ihr Wissen. Es ist wegen – nun, Sie wissen schon, nicht wahr? „Wenn sie schon zusammen schlafen, sollten sie wenigstens verlobt sein.“ Die Mutter der Kleinstadttochter wird es dem Paar sagen – fünf Minuten vor einer Familienfeier, zu der alle Tanten und Onkel eingeladen werden: „also, wenn das Wort Verlobung heute fällt, dann geht bitte nicht gleich an die Decke“. Nein, nein, man behält Fassung – und für eine Flucht ist es ohnehin schon zu spät.
Sicher, sicher – es muss nicht so schlimm kommen, nicht ganz so schlimm jedenfalls. Selbst auf der schwäbischen Alb oder in den Pietisten- und Erzkatholikenhochburgen ist man heute schon ein bisschen liberaler. Aber merkwürdig angesehen und beobachtet wird man ständig. Die Menschen schütteln den Kopf, wenn der Großstädter sich in die Kleinstädterin verliebt, und wie viel anders das Leben dort ist, bemerkt man allerspätestens bei der Hochzeit, an der man mit sogenanntem „Brauchtum“ konfrontiert wird.
Ist es schon in Kleinstädten kaum möglich, als frischgebackenes Paar in Ruhe seiner Liebe zu frönen, und sich ohne äu0ere Einmischung ein Erwachsenenleben aufzubauen, so ist es erst recht schwierig in „strukturschwachen Gebieten“. In manchen Städten, Gemeinden und Dörfern liebt man weder sich selbst noch andere, sondern stimmt sich gegen alle, was in den Ort hineindrängt. „Was, hieher wollen Sie ziehen? Ja, sagen Sie mal, Sie könnten doch überall hinziehen, warum wollen Sie denn gerade hierher ziehen?“
Die TAZ schrieb über solche Gegenden gerade dies:
In strukturschwachen Regionen ziehen immer zuerst die jungen Frauen weg. Das ließe sich noch verschmerzen … (doch später) … liegt die Sexualität der männlichen Restbevölkerung endgültig am Boden … (und) zurück bleiben die Alten, die Deppen und die Bürgermeister, die sich als Dagegenstemmer unermüdlich engagieren.
Wo die „blühenden Landschaften“ nun mal nicht blühen wollen, und wo die Öde tatsächlich öde bleibt, gibt es dennoch junge Frauen und junge Männer, die nicht Single bleiben wollen – ein paar bleiben ja doch noch übrig, auch wenn sie weder Deppen noch Bürgermeister sind. Doch ob es nun Ostfriesland ist oder die schwäbische Alb oder meinetwegen Brandenburg: Je weiter die nächste Großstadt entfernt liegt, umso schwerer wird die Suche, und umso höher ist auch die Schwelle, die Vorurteile gegenüber der Lebensweise des anderen zu überwinden. Oft würde das junge Paar selber schon alles schaffen: wenn da nicht die Sippschaft wäre, die ihnen dauernd in die Pläne hineinreden würde.
Wenn Sie im Internet einen Partner oder eine Partnerin suchen und dabei auch an die Provinz denken: Machen Sie sich bitte klar, dass die „gestandenen Familien der Region“ zumeist mit großem Eigensinn (Lokalpatriotismus und örtliches Kulturverständnis) ausgestattet sind. Überlegen Sie sich, ob Sie in dieser Umgebung glücklich werden können und ob sich Ihre Partnerin oder Ihr Partner überhaupt aus einer solchen Umgebung „herauslösen“ lässt. Natürlich kann auch eine solche Beziehung glücklich werden – aber sie erfordert zumeist eine deutliche Abgrenzung des Paares auf eigene Belange und die Neuorientierung auf das gemeinsame Leben – und das kann schmerzlich sein, weil dann auch manche Brücken zur Vergangenheit verbrannt werden müssen.