Die Woche in Dating: Wissenschaftler oder Märchenerzähler?
Bevor ich einen weiteren Satz schreibe: Ich bin ein Freund der Wissenschaften, solange sie Daten und Fakten vorlegt, die Hieb- und stichfest sind. Das ist aber leider immer seltener der Fall, soweit es erstens um die Partnerwahl geht und es sich zweitens um Forschungen handelt, die sofort von der Presse genüsslich ausgeschlachtet werden. Über die unglaublich „wichtige“ Forschung an der Vokalisierung von Orgasmen kann man sich ja vielleicht noch amüsieren, aber wenn Forscher uns eine geringfügige Beobachtung während Speed-Datings als „Fremde beeinflussen unsere Partnerwahl“ verkaufen wollen dann ist dies eine Zumutung. Ähnlich verhält es sich mit den schönen Gesichtern (auf Fotos!) die angeblich spontan zur „Partnerwahl“ führen sollen. In beiden Fällen, liebe Forscher, fand überhaupt keine echte Partnerwahl statt – jedenfalls keine, die wir außerhalb eurer Elfenbeintürme als „Partnerwahl“ akzeptieren worden. Verstanden, Damen und Herren Forscher? Nein, natürlich nicht. Man könnte genau so gut so gut zu weißen Wänden reden, wenn wieder einmal Märchenstunde im Wissenschaftswäldchen ist. Übrigens hat dies ausgerechnet ein Geisteswissenschaftler erkannt: All die Beobachtungen wichtigtuerischer Forscher führen dazu, dass wir uns selbst und unserer Liebe misstrauen.
Unfug überall: Auch Männer leiden unter Beziehungen, in denen der Wurm steckt – ach nee, was hatten die Damen Forscherinnen, die das festgestellt haben, denn vorher angenommen? Dass wir Männer Betonklötze sind? Da wurde wenig geforscht, was die Damen nicht hinderte, ein paar Klischees zusammenzupacken und wohlfeil und boulevardpressegerecht zusammenzuschnüren. Nicht einmal die Jugend bleibt verschont von Kassandrarufen: 9 Jahre und 10 Monate seien Mädchen alt, wenn ihre Pubertät beginnt, und in diesem Alter seien sie „psychisch nicht darauf vorbereitet“. Nun mal zurück auf „Start“, Forscher: Wart ihr eigentlich psychisch auf eure Pubertät vorbereitet? Ist dies irgendjemand gewesen? Ist es nicht immer zu früh, unpassend und schrecklich verwirrend? Vor allem die dümmliche Panikmache geht einem doch auf den Keks – mir jedenfalls. Übrigens blieb da noch die Fernbeziehung: Mich wundert ja immer wieder, was Psychologen und Soziologen darüber alles „wissen wollen“, und ich unterstelle nun mal ganz klar: Alles Annahmen, kurzfristig aus den Fingern gesogen, weil man nichts Genaues weiß. Wie sollte man auch? Nicht ist intimer als eine Paarbeziehung, und selbst gestandene Paar- und Familientherapeuten hüten sich davor, Voraussagen über die Haltbarkeit oder gar die Qualität von Beziehungen zu machen. Vielleicht sollten sich die vielen, vielen wissenschaftlichen Verbreiter von Allgemeinplätzchen mal vor Augen halten, was Menschen in Fernbeziehungen tatsächlich auf sich nehmen – aber wer will das denn schon wissen?
Wirklich beunruhigend: Zahlen über Gewalt und Vergewaltigungen bei Jugendlichen – die Studie zeigt, wie oft Gewalt von Männern ausgeht, und vor allem, dass sich die männliche Gewalt sowohl gegen Frauen wie auch gegen Männer richtet. Wir beschäftigen uns im selben Artikel noch einen kurzen Absatz lang damit, wie wahrscheinlich es ist, beim Blind Date vergewaltigt zu werden: sehr, sehr unwahrscheinlich.
Für mich als Kommunikationsexperten und Ex-Programmierer ist natürlich immer noch interessant, wie viel künstliche Intelligenz oder Dummheit man heute mit einem sogenannten Chatbot erreichen kann. Da haben die Jungs sorgfältig geforscht und auch etwas herausgefunden – nur eine Frage bleibt offen: Sind die Computerprogramme intelligenter oder die Chatter noch blöder geworden, als sie es schon bisher waren? Ach, Chatter sind gar nicht blöd? Na, dann lesen Sie mal die Studie.
Diese Woche in Dating gab es zwei wichtige uns ausführliche Eigenbeiträge: Einen darüber, warum Ihnen bei der Partnersuche der Kampf um Geschlechterdifferenzen nicht nützt, sondern schadet – und einen, warum Sie die Partnersuche durchaus als ein Spiel behandeln dürfen. – auch, wenn Sie das anderwärts einmal anders gelesen haben.
Im Online-Dating tut sich – auch entgegen anderen Aussagen – nichts wirklich Neues: Man kommt sich vor, als würden alle dicke Zigarren paffen und zufrieden in die Welt schauen, weil die Kasse stimmt. Mich hat ja wirklich amüsiert, wie „Web 3.0“ aka „Semantisches Web“ die Partnersuche beeinflussen soll – dieselbe Prozedur wie letztes Mal, Miss Sophie. Nun, und während Dating-Anzeigen offenbar bei Facebook Unmut auslösen, hat gerade ein neuer Dienst auf Facebook aufgesetzt: Eigenangaben zufolge ist man eine Online-Partnervermittlung mit Social-Network-Stallgeruch. Nichts dagegen, wenn es funktionieren sollte. Nur warum wirbt man dann mit Argumenten, die sich schon vor Jahren als fragwürdig erwiesen haben, als Web 2.0 ganz neu war?
Übrigens werden „konservative“ Partnervermittler wieder zum Thema – und in den USA ist eines dieser Unternehmen ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten, weil man an den Mitgliederzahlen herumgeschraubt hat, um neue Kunden einzulullen (…). Warum ich eben eine leere Klammer gesetzt habe? Na, denken Sie mal nach …
Was noch war? Einmal ein recht netter Artikel über Dating bei Alleinerziehenden auf be2, und einmal in der Humorabteilung hatten wir diesmal Politik.
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