Über den Unsinn von Dating-Ratgebern
Wer heute noch Pressemitteilungen über das Online-Dating verfasst, der hat es wahrlich nötig. Denn eigentlich ist alles gesagt, was gesagt werden musste – aber noch lange nicht alles getan, was notwendig wäre. Das wissen die Betreiber der Single-Börsen und Online-Partnervermittlungen sehr wohl, aber es ist natürlich bequemer, die Gunst der Stunde zum Geldscheffeln zu nutzen, statt sich auf die nächste Krise vorzubereiten – und die kommt sicher.
Inzwischen scheinen die Autorinnen und Autoren von Dating-Ratgebern auch aufgegeben zu haben, immer neue Machwerke an den Markt zu bringen. Lassen Sie mich darüber ein paar Worte verlieren: Es hat keinen Sinn, die eigenen Dating-Erfahrungen in Bücher umzusetzen, weil jeder Mensch mit anderen Vorstellungen und Erwartungen and an die Partnersuche herangeht. Um ein altes Klischee zu bemühen: Jeder Mensch ist zu haben, nur nicht jederzeit und nicht von jedem, und wer dies einmal verinnerlich hat, der weiß: Mein eigenes Erfolgsrezept kann von meinem Nachbarn gar nicht verwirklich werden, weil er ganz andere Gefühle hat als ich selber. Mit anderen Worten: Mir mag es gefallen, zwei Mal pro Woche mit neuen Partnern aus dem Internet anzubändeln und mit ihnen einen Kaffee zu trinken sowie zusätzlich noch das Verkaufspersonal in einem Warenhaus zu bezirzen – während mein Nachbar einmal alle vierzehn Tage ein ruhiges Abendessen mit einer Dame haben möchte, um die gegenseitige Übereinstimmung zu überprüfen. Mit anderen Worten: Meine Tipps wären Müll für den Nachbarn, wenn ich keinen Weit- und Überblick hätte. Den haben aber die meisten dieser „ich hab es getan“-Damen und Herren nicht. Nebenbei bemerkt hilft es echten Partnersuchenden auch nicht, eine Bedienungsanleitung für das Online-Dating zu schreiben.
Hinzu kommt: Lieschen Müller, zwischen 25 und 35 Jahre alt und von her geringer Bildung, ist mit offline beinahe besser dran als mit online. Sie sucht sowieso einen Partner aus ihrem Milieu und will möglichst nicht umziehen. Was, bitte, sucht die eigentlich online, wenn sie nicht gerade in München, Berlin oder Hamburg lebt, kurz: in Großstädten mit mehr als einer halbe Million Einwohner? Online-Dating ist wahrhaftig eher etwas für Menschen, die sehr mobil sind, erweiterte geistige Interessen haben, oder die in ihrem beruflichen Milieu weitgehend isoliert arbeiten. Diese Gruppen sind natürlich erweiterbar, zum Beispiel auf Menschen über 40, Geschiedene, die im alten Milieu nicht suchen wollen und Aufsteiger, die über ihre bisherigen Kontakte hinauswachsen. Nur eben nicht für Lieschen Müller.
Ich las gerade ein Buch, indem davon die Rede ist, wie unmöglich es eigentlich ist, keine potenziellen Partner kennenzulernen. Zitat:
Wenn sie nur oft genug unterwegs sind, wird es sich gar nicht vermeiden lassen, dass sie den Richtigen beziehungsweise die Richtige treffen
Ich weiß, dass dies auf Ärzte, Redakteure und Rechtsanwälte oft nicht zutrifft, aber warum bitte sollte die Sachbearbeiterin unter den Kollegen einer großen Vertriebsfirma eigentlich keinen passenden Partner finden? Gibt es irgendeinen Grund für sie, sich zuerst woanders umzusehen? Ist es wirklich so schlecht, sich in der Kantine oder notfalls im Stammcafé immer wieder sehen zu lassen und dort auch so aufzutreten, dass man sieht: „Oh, tolle Erscheinung?“
Sicher, das sind alles nur Fragen. Aber sie werfen ein Licht darauf, dass der Realitätssinn einer der wichtigsten Hilfsmittel ist, um das Feld für eine mögliche Partnerschaft zu bestellen. Wenn Sie den gewonnen (oder sollte ich gleich schreiben: „Wiedergewonnen“?) haben, dann können Sie getrost auch online suchen.
Was meinen Sie?