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Gebraucht und neu

Sieht man die Zeitungsannoncen des beginnenden 20. Jahrhunderts an, so bemerkt man schnell, dass es zwei populäre Konfliktthemen gab: Religion und Familienstand. Erstaunlicherweise gab man sich in der Religion mehr als tolerant – katholisch oder evangelisch spielten selten eine Rolle, und oft wurde betont, dass man auch eine Jüdin heiraten würde.

Beim Familienstand hingegen war man alles andere als liberal: Sowohl geschiedene Personen wie auch Witwer und Witwen hatten schlechte Karten, wenn es um die neue Partnerschaft ging – sie wurden von den Inserenten zumeist ausdrücklich als Partner ausgeschlossen.

In späteren Jahren, etwa gegen 1960, las man noch oft „geschieden zwecklos“. Alle wollten einen frischen, „unverdorbenen“ Menschen für die Ehe. Über Geschiedene wurden in den Familien Gräuelmärchen verbreitet – sie seine größtenteils so geschädigt, dass von einer Ehe mit ihnen unter allen Umständen abgeraten wurde.

Erst später – gegen die 1980er – wurden Frauen frecher: Die „gebrauchte Ehefrau“ oder die „eheerfahrene“ Frau waren die Begriffe, die man häufig lesen konnte. Noch später entschloss man sich, dann wirklich zu sagen, dass man geschieden war – und heute sagen alle gemeinsam, sie seien eben „Single“.

Natürlich ist eine zweite oder dritte Ehe nicht mehr wie die Erste – aber dennoch sind zweite Ehen oft besser als die Ersten. Sie darf eben nur nicht „Im Schatten der Ersten“ stehen, wie es in einem neuen Buchtitel heißt.

Ich darf sie von vornherein beruhigen: In Wahrheit sind zweie Ehen oft besser als erst, und es ist relativ unüblich, dass sie im „Schatten“ steht. Sicher hat die Autorin recht, wenn sie sagt:

Vor allem, wenn Kinder da sind, ist die Vergangenheit in so einer Beziehung immer gegenwärtig – das ist völlig normal

Da ist sicher so – nur werden auch Kinder größer und gehen ihre eigenen Wege. Viele der heutigen zweiten und dritten Ehen werden ja nicht geschlossen, wenn beide noch kleine Kinder haben, sondern wenn diese bereits aus dem Haus sind. Selbstverständlich treten auch dann noch juridische Fragen auf – aber der Alltag wird eben nicht mehr von den Kindern bestimmt.

Wichtig ist daher vor allem, wie das neue, liebende Paar zueinandersteht. In zweiter oder dritter Ehe ist es zumeist nur noch selten nötig, mit den Ex-Partnern zu reden, zumal, wenn die Kinder erwachsen sind oder aus der Ehe gar keine hervorgingen – man kann also die Brücken innerlich wie äußerlich durchaus abbrechen.

Ab einem gewissen Alter hat man heute kaum noch eine Chance, einen „echt ungebrauchten“ Partner zu finden – und es ergibt sich dann auch wirklich die Frage, welcher Partner sich besser eignet: einer mit langjähriger Beziehungserfahrung oder ein eingefleischter Single.

Zitat nach der WELT

Das Buch „Im Schatten der Ersten: Wie Partnerschaft mit einem geschiedenen Mann gelingen kann“ von Doris Früh-Naumann erschien 2008 – die Grundlagen dürften aber bereits älteren Datums sein.

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