Vatertöchter und Muttersöhnchen
Lesen Sie bitte nochmals den Titel – fällt Ihnen etwas auf? Richtig, die Vatertöchter wirken richtig erwachsen, während die Muttersöhnchen zu Bubis degradiert werden – das Diminutiv macht´s möglich.
Etwas mehr als 50000 Mal nennt Google das Vorkommen des Wortes „Muttersöhnchen“ und sofort wird deutlich, wer das spricht: Enttäuschte Frauen, die Beziehungen mit derartigen Männern eingegangen sind und daran scheiterten. Die Vatertöchter (12600 Erwähnungen) hingegen werden von beziehungssuchenden Männern kaum erwähnt – nur wenige Männer kennen einen solchen Begriff überhaupt.
Haben Sie je etwas von „Muttertöchterchen (145 Erwähnungen)“ gehört oder „Vatersöhnchen“ (539 Erwähnungen)? Nein? Dann denken Sie mal über Ihren eigenen Sprachgebrauch nach.
Machen wir uns nichts vor: Die Begriffe sind, jeder für sich, idiotisch und dienen dazu, Menschen in die berühmten Schuhkartons einzuordnen – wenn die eine oder andere Eigenschaft passt, ist man im Karton. Deckel zu, Etikett drauf. Wenn es noch keines gibt, muss eines geschaffen werden: Vatertochter zum Beispiel, ein Begriff, der ursprünglich für Frauen gebraucht wurde, die im Schatten berühmter Väter standen. Ers später bemächtigte sich die allgegenwärtige Psychotherapie des Begriffs und schuf neben dem bereits bestehenden, abwertenden Etikett „Muttersohn“ nun die „Vatertochter“. Reinen besonderen Anteil an der Verbreitung des Begriffs hatte dabei die 1943 geborene jungsche Psychoanalytikerin Verena Kast. Was eine Vatertochter ist, bleibt dennoch unklar: mal ist sie die Frau, die versagt, weil ihr Vater so dominierend war, mal diejenige, die siegt, weil sie ihrem Vater nacheifert.
Beim Muttersöhnchen ist die Sache zumindest für den Volksmund klar: Daumen nach unten und mies machen. Doch ebenso wie bei allen anderen Begriffen in diesem Artikel ist auch das „Muttersöhnchen“ ein dümmliches Etikett: Wenn überhaupt, so sollte es bestenfalls für Männer verwendet werden, die bis weit ins Erwachsenenalter hinein von ihren Müttern verwöhnt wurden.
Falls Sie jetzt empört aufhüpfen: Überlegen sie sich einmal, was ein Mann empfindet, der von seiner Mutter nicht geliebt und verwöhnt wurde. Möglicherweise will er das, was ihm entgangen ist, nun von Ihnen. Keine wirklich erwünschte Rolle, nicht wahr?
Mein Tipp: Verwenden Sie nie irgendwelche Etiketten für Menschen. Sie wollen ja auch nicht, dass Ihnen Etiketten aufgepappt werden.
Foto: Nach einem Bild © 2008 by Lisa Brewster