Warum die Ostfrau doch nicht zum Westmann kommt
Der Beweis musste her: Deutschland wächst zusammen. Wohl deshalb lud Wolfgang Tiefensee Anfang des Jahres 100 Ost-West-Paare in die Berliner Akademie der Künste ein und nannte sie ein „Vorbild für das zusammenwachsende Deutschland“. Das liest sich dann im PR-Deutsch so:
„Dies ist ein schönes Zeichen, denn alle Ost-West-Paare sind der lebende Beweis dafür, dass die Deutsche Einheit bei den Menschen längst im Alltag angekommen ist. Die Deutsche Einheit ist ein großes Glück für Deutschland.“
Dabei ergeben sich zwei Fragen: Die erste wäre schon mal, warum nie jemand auf die Idee gekommen ist, diese PR auch einmal für Europa zu machen – denn natürlich gibt es inzwischen viele paneuropäische Ehen, die für das Zusammenwachsen Europas mit Sicherheit eine tief greifendere Bedeutung haben als die sogenannten Ost-West-Ehepaare, die Tiefensee so PR-trächtig antanzen ließ.
Warum Ost und West selten zusammenkommen
Das ist selbst der WELT zu viel. Sie schrieb: „Das Leben ist viel profaner: Nach Erhebungen der Statistischen Landesämter leben vier von fünf Deutschen nur wenige Kilometer von ihrem Geburtsort entfernt. Das heißt, die meisten heiraten in ihrem Umfeld“.
Was nicht mehr und nicht weniger heißt als: der Standard-Deutsche lebt, liebt und heiratet dort, wo er sich auskennt – und das ist der Hauptgrund, warum „nur“ vier Prozent der Ehen zwischen „Wessis“ und „Ossis“ geschlossen werden.
Die übrigen Kriterien erweisen sich oftmals als falsch oder als Vorurteile: Natürlich haben Ostfrauen einen anderen Emanzipationshintergrund als Westfrauen – aber das gilt im Wesentlichen nur für die vor 1970 Geborenen. Die Jugend wächst – so die allgemeine Beobachtung – in den östlichen und westlichen Bundesländern keinesfalls unterschiedlich auf. Was bleibt, sind kulturelle Unterschiede, die es auch im alten Westen zu überbrücken galt: Der Holsteiner versteht sich mit der Niedersächsin nun mal eher als die der Rheinländer mit der Hamburgerin.
Fazit: Deutsche kleben an der Scholle
Das Fazít? Die Unterschiede zwischen den Menschen aus Ostdeutschland und Westdeutschland werden ebenso falsch eingeschätzt wie ihre Gemeinsamkeiten. Menschen begegnen einander dort, wo man sich üblicherweise begegnet: in der Nähe. Selbst zu Zeiten des Internets wollen die meisten einen Partner, den sie im Umkreis von weniger als 50 Kilometern treffen können. Wer an der Grenze zu einem anderen EU-Land lebt, schließt deren Bewohner meist aus: Man möchte, dass der Partner bereits in Deutschland lebt.
Ein guter Rat ist es sicher nicht, sein Umfeld so einzuschränken. Aber Deutsche tun es nun einmal gerne. „Bleibe im Land und nähre dich redlich“ sagt der Volksmund und bleibt auf seiner Scholle sitzen.
Kann er ja – nur sollten sich die lieben Mitmenschen dann bitte nicht beklagen, keine Partnerinnen oder Partner zu finden. Falls Sie, liebe Leserin oder Leser, Sorgen haben, dass ihre Kinder ihre Sprache und Kultur verlernen: In so gut wie allen europäischen Ländern gibt es deutsche Schulen – und mehrsprachig aufzuwachsen, ist eine gute Voraussetzung für zukünftige Europäer.