Tacheles – Markt, Ressourcen und Sperrmüll der Gesellschaft
Dating ist – ich schreibe es wahrscheinlich viel zu oft – eine Kulturleistung, auch wenn meine Kolleginnen und Kollegen in den deutschen Zeitungen einfach nicht die Chuzpe haben, dies zu schreiben. Was sie daran hindert, werden sie wohl nur selber wissen. Dummheit allein kann es jedenfalls nicht sein, eher vielleicht schon die Beschränkung auf die Schuhkartons, in denen sie denken: Dating ist Internet, und Internet ist Technologie. Da die deutschen Kulturpäpste ohnehin wenig Beziehung zur Realität haben, wird es wohl noch lange dauern, bevor wir dort einen geistreichen Artikel zur modernen Partnerwahl finden – aber das nur am Rande.
Nur, wer die Partnerwahl als Kulturleistung sieht, wird sie entsprechend würdigen können, denn gerade auf diesem Gebiet ändern sich die Verhältnisse beständig – ob mit Internet oder ohne. Man muss die Zeit nur drei Generationen zurückdrehen, um festzustellen, wie rar „Liebesheiraten“ waren – und noch ein paar Generationen rückwärts blieb die Tochter ehelos, wenn der Vater keine anständige Mitgift zahlte.
Die heutige Haltung, dass jede Frau ihren passenden Mann finden müsse und jeder Mann seine passende Frau, ist hochgradig arrogant – ich erinnere mich durchaus noch an die Zeiten, an denen alle Familien gründen und zusammenwachsen wollten – doch auch damals wurde mindestens vom jungen Mann zunächst einmal gefordert, die nötigen wirtschaftlichen Voraussetzungen mitzubringen. Ein Anspruch auf Zweisamkeit? Da hätte man uns ausgelacht.
Ich höre immer wieder das Lamento – alles würde heute nur noch Marktgesetzen folgen: alleine diese angeblichen Unwörter: Bekanntschaftsmarkt, Heiratsmarkt, menschliche Ressourcen – alles „pfui Teufel“.
Tacheles gefällig? Es gibt einen Markt, und es gab ihn immer. Früher war es sogar viel härter, auf diesem Markt zu bestehen – vor allem für Frauen. Wer als Frau kein ererbtes Vermögen hatte oder keine Mitgift, der fiel aus dem sozialen Gefüge heraus wie Sperrmüll. Vielleicht sollte man dies einmal sagen, wenn heute von der „Entmenschlichung“ und „Vermarktung“ gesprochen wird.