Der Liberale, die Forscherin und die Genderforschung
Die Soziologin Paula-Irene Villa erklärte vor kurzer Zeit gegenüber der „Tagesschau“, „die Popularität der Polemik gegen Geschlechterforschung“ hänge mit der „Konjunktur anti-intellektueller und anti-liberaler Haltungen“ zusammen.
Ich bin liberal und kritisch, und durchaus in der Lage, betont verstandesmäßig (aka „intellektuell“) zu schreiben und zu agieren. Und ich habe eine überaus komplexe Sichtweise.
Und nun lese ich:
Geschlechtlichkeit ist eine Mischung von sozialen, biologischen, kulturellen, historischen Komponenten … Diese komplexe Sicht auf Geschlecht werde als intellektuelle, akademische und realitätsferne Spinnerei diskreditiert.
Was heißt das?
Da wird eine Behauptung aufgestellt, nämlich
eschlechtlichkeit ist eine Mischung von sozialen, biologischen, kulturellen, historischen Komponenten.
Man kann dieser Behauptung durchaus zustimmen, aber es ist und bleibt eine Behauptung und keine Tatsache. Das Problem liegt in der dem Satz innewohnenden ultimativen Definition: „Geschlechtlichkeit ist …“, und damit reiht sich Frau Villa in eine ganze Gruppe von Geisteswissenschaftlern ein, die glauben, die Definitionsmacht für sich in Anspruch nehmen zu können. Übrigens könnte man „Geschlechtlichkeit“ durch viel andere Begriffe austauschen (zum Beispiel „Freude“ oder „Erfüllung“), und wenn wir das tun, dann wird der Satz als Aussage ohne Wert entlarvt. Sind wir nicht alle geprägt von Natur und Kultur, Evolution und Geschichte, Erziehung und individuellen Eigenschaften? Und weil ich gerade „individuell“ erwähne: So etwas lässt der Satz von Frau Villa gar nicht mehr zu. Sie hat ja schon definiert, was Geschlechtlichkeit für Menschen zu sein hat.
Ich darf Ihnen versichern: Liberale Menschen stimmen nicht einfach irgendwelchen Sätzen zu, die klug klingen. Die Kunst, die Wahrheit zu finden, liegt nicht im Glauben an die Wissenschaft, sondern in der Fähigkeit, ihre Behauptungen in Zweifel zu ziehen.
Und Sie? Ich traue Ihnen durchaus zu, für sich selbst zu entscheiden, was für Sie „Geschlechtlichkeit“ ist.
Zitate: Tagesschau.