Ist jemand „Bisexuell“, weil er Lust auf das eigene Geschlecht hat?
Für die meisten von uns zählt das „Schulwissen“: Der Stino heißt „Heterosexueller“, der Schwule heißt „Homosexueller“, und bei Frauen sagt man – das weiß jede Gymnasiastin – dann auch noch mal „Lesbierin.“
Und in Wahrheit?
In Wahrheit sind sexuelle Lüste, Bedürfnisse und Wünsche fließend. Außer bei den Hardlinern auf beiden Seiten des jeweils „anderen“ Ufers. Die „klassische“ Trennung in „hetero“, „homo“, „bi“ und was es sonst noch gibt, ist eine Etikettierung, die auf manchen zutreffen mag und auf andere nicht. Und diese harsche Trennung existiert erst seit einem Jahrhundert. Sie begann damit, dass „anders“ Sexuelle neu beschrieben wurden – von Wissenschaftlern, die sich damit ein wenig Ruhm verdienen wollten. So wurde auch die „mannmännliche Liebe“ zur Homosexualität, und wo ein Etikett wie dieses existiert, musste dann auch ein ähnliches Etikett für alle anderen her, und das waren (und sind) die „Heterosexuellen“. Und seither lesen wir in Kreuzworträtseln den Begriff „Gegenteil von homosexuell“. Und der heißt dann „Heterosexuell“.
Wie homosexuell sind denn nun eigentlich „Heteros“? PARSHIP wollte es wissen und stellte folgende Frage (an Frauen):
Im Lauf des Lebens sammeln einige Menschen auch Erfahrungen mit dem gleichen Geschlecht. Wie ist das bei Ihnen, sind Sie schon mal einer Frau (z. B. mit einem Kuss etc.) körperlich näher gekommen?
A kiss is just a kiss – oder doch mehr?
Ich habe gelächelt, als ich die Formulierung las … „mit einem Kuss“.Oh, oh … auf die Stirn? Auf die Wange? Auf den Mund ? Auf die Schamlippen?
Gut – und also befragt, antworteten 79 Prozent der befragten Frauen mit „Nein, niemals.“ Der Rest hatte schon mal „irgendwie“ Kontakt, gab „einen Kuss“ zu (13 Prozent) oder kannte schon mal „erotische Spannungen“ beim Kontakt mit anderen Frauen (sechs Prozent).
Doch all dies sagt – gar nichts aus. Nicht über Sinnlichkeit, nicht über Erotik, und schon gar nichts über sexuelle Wünsche und deren Erfüllung. Und es sagt auch nichts darüber aus, ob gleichgeschlechtliche Kontakte infrage kommen würden oder nicht. Also fragte PARSHIP die Frauen nochmals nach den potenziellen eigenen Wünschen – würden sie eine Frau lieben wollen?
Es zeigte sich, dass diesmal nur 68 Prozent ablehnten, einen Gedanken daran zu verschwenden. PARSHIP führt nun das Wort „eigentlich“ ein und lässt die Antwort zu „Eigentlich nicht, aber man weiß ja nie“. Was immer „eigentlich“ heißt – nun waren 29 Prozent der Frauen doch etwas offener gegenüber der Lust am fremden weiblichen Körper. Der Rest würde durchaus eine Frau lieben. Was interessant ist: In der Bewertung wird „Nein“ und „eigentlich nicht“ kumuliert und führt zu „96 Prozent Ablehnung“.
Was immer Sie darüber denken – es ist im Grunde genommen lächerlich, Liebesbeziehungen, Lüste, Sinnlichkeit und erotische Träume in einen Topf zu werfen. Und es ist irgendwie abwegig, das Wort „Bisexuell“ in diesem Zusammenhang zu verwenden, denn es geht hier nicht um „sexuelle Ausrichtungen“, sondern ausschließlich um die die Lust am gleichen Geschlecht. Sie scheint weitaus verbreiteter zu sein als angenommen wird – untersucht wurde dies allerdings ausschließlich an jungen Frauen.
Literatur: Straight: The Surprisingly Short History of Heterosexuality
Dieser Artikel verwendet Zahlenmaterial und ein Zitat von PARSHIP.