Sexuelle Abhängigkeit – falsch etikettiert?
Wird sexuelle Abhängigkeit falsch etikettiert? Wer sagt uns, was sie bedeutet? Eines ist sicher: die Küchenpsychologie hat auf alles eine Antwort. Und die bürgerlichen Moralisten kochen ihre Süppchen nach diesen Rezepten.
Sexuelle Abhängigkeit, Sexsucht, „Sex Addiktion“, Hörigkeit, Don-Juanismus, Nymphomanie – all diese Begriffe wurden früher oft verwendet, um einen ungewöhnlich starken sexuellen Drang zu beschreiben. Nicht nur Psychologen und Küchenpsychologen geben sich die Klinke in die Hand, um dergleichen zu veröffentlichen. Und weile es ja so schrecklich populär ist, das Internet zu bezichtigen, für alle Schlechte verantwortlich zu sein, fehlt es seltene in der Liste der „Sexsüchte“.
Dabei ist vor allem die „Sexsucht“ im Fokus der notorischen „Menschenerklärer“. Es ist erstaunlich, was nach Meinung von populärwissenschaftlichen Autoren als unter „Sexsucht“ subsumiert wird.
Was ist Sucht?
Diese vermeintliche „Sucht“ wird allgemein (und sicher besser) als eine zerstörerische Abhängigkeit von einer Substanz oder einem Verhalten. Es entgleitet dem Wollen der Person und kann mit seinem freien Willen nicht mehr gesteuert werden.
Schon allein aus der Definition ergibt sich, dass gewöhnliche Abweichungen keine „Sucht“. Dazu gehört Masturbieren, häufiger Geschlechtsverkehr, außereheliche Beziehungen, SM-Aktvitäten, „gewöhnliche“ Pseudo-Fetische (Brust, Gesäß, Füße) und viele andere sexuelle Bereiche, in denen die Lust intensiv ausgelebt wird, ohne dass die Person von diesem Verhalten abhängig wird.
Anders sieht es aus, wenn sich der Betroffene mit besonderen sexuellen Tendenzen in seinem Verhalten von einer anderen Person abhängig macht – oder, noch schlimmer, von dieser schamlos ausgebeutet wird. Der Unterschied liegt auf der Hand: Das Verhalten eines Süchtigen kann zwar von ihm kaum noch kontrolliert werden, aber es wird auch von keiner anderen Person in ausbeuterischer Weise gefördert.
Nahezu alle Personen und Verbände, die sich mit Sucht beschäftige, werden Ihnen ähnliche Auskünfte geben, also die Mehrheit der Therapeuten, Sozialverbände und Selbsthilfegruppen.
Warum wird Sexsucht thematisiert?
Sexsucht hat einen besonderen Kern, weil der Suchtstoff zum notwendigen biologischen Inventar des Menschen gehört. Das heißt, dass so gut wie jeder Mensch den Suchtstoff produziert und nutzt. Selbst Therapeuten wissen nicht genau, warum die Mehrheit der Menschen an diesen körpereigene Drogen an der Sucht vorbeischliddert, während eine Minderheit der Sucht verfällt. Die meisten Erklärungsversuche sind wissenschaftlicher Unsinn, auch dann, wenn sie von Wissenschaftlern kommen. Sie alle haben vermutlich einmal den Selbstversuch gemacht: Er heißt „verliebt sein“. Manche Menschen finden diesen Zustand so toll, dass sie immer wieder die ersten, besonders intensiven Höhepunkte erleben wollen. Aber auch das ist noch keine Sucht: Es gibt auch Menschen, die immer neue Rotweine verkosten wollen, ohne alkoholkrank zu sein.
Nein – Sexsucht wird thematisiert, weil man glaubt, damit Blumentöpfe gewinnen zu können. Und dabei werden dann eben auch Halbwahrheiten transportiert.
Furcht erzeugen mit „Sexsucht“
Es sind keineswegs nur Religionsfanatiker, Moralapostel und konservative bürgerliche Kreise, die über „Sexsucht“ schwadronieren, sondern durchaus auch Bildungsbürger, die zeigen wollen, wie abgehoben sie denken können.
Nach Auffassung mancher Sexologen wird er Begriff „Sexsucht“ ganz gezielt genutzt, um
vermeintlichen Liberalismus zu bekämpfen, die Wissenschaft zu ignorieren und Furcht zu erzeugen.
Nahezu jede Sucht erzeugt früher oder später Verluste – auch die echte Sexsucht. Sie kann den Menschen, der von ihr betroffen ist, finanziell, emotional, körperlich oder sozial ruinieren. Und weil das so ist, ist es eine Unverfrorenheit Einzelner, Frauen und Männer der Sexsucht zu bezichtigen, die nur eines sind – anders als die Norm.
Lesen Sie bitte (teils kontrovers):
„Der Humanist“ (englisch)
Wissenschaftliche Stellungnahme (englisch)
Stangl Arbeitsblätter (deutsch, konservativ)
Betrachtung zur Anpassung (deutsch)