Warum erotische Rollenspiele sinnvoll sind – auf psychologisch
Mit der Geschlechterrolle zu spielen, gilt schon in gemäßigten bürgerlichen Kreisen als Vorstufe zur Perversion, und bei den Extremisten, die sich „besorgte Bürger“ nennen, ist es bereits die Vorhölle.
Da trifft es sich gut, wenn auf einer bürgerlichen Plattform einmal mit einem Vorurteil aufgeräumt wird: der festen Rollenzuschreibung von Frau und Mann in der Liebe. Vorsichtig, aber dennoch eindeutig wird formuliert (Zitat):
… wir wir befinden uns vielmehr in einem Kontinuum, in dem wir alle mehr oder weniger große Anteile von Männlichkeit und Weiblichkeit in uns vereinen. Und es kann unser Leben und unsere Sexualität bereichern, wenn wir die vorgegebene Polarität verlassen, wenn wir auch die anderen Anteile in uns entdecken und sie entfalten.
Kein Rollenspiel im Spiel mit der Rolle?
Warum die Autorin anschließend allerdings behauptet, sie spräche vom Rollentausch und nicht von Rollenspielen, dann geht sie mit der Anpassung an bürgerliche Normen zu weit. Rollentausch in der Liebe ist ein Rollenspiel, und Gender-Rollenspiele bestehen nun einmal im Rollentausch. Es ist vielmehr so: Rollenspiele haben keine eindeutige Dimension, sondern sie können sowohl rein mental wie auch mit theatralischer Ausstattung durchgezogen werden. Jeder mag da so viel Aufwand betreiben, wie ihm gut tut.
Verhüllt mit Wohlanständigkeit, und dennoch wahr
Der Balanceakt zwischen bürgerlicher Wohlanständigkeit und den animalischen Gelüsten zieht sich an dem Wort „Überwältigungsphantasien“ (1), in diesem Fall der Lust der Frau, einen Mann zu überwältigen und dabei Macht auszuüben – und, wie das Wort ja sagt, möglicherweise auch spielerische Gewalt. Manchen Männern käme dies sehr entgegen, aber die meisten Frauen scheue sich davor. Rein theoretisch stünde der sexuellen Dominierung in beiden Richtungen nichts entgegen, denn fast 53 Prozent der Männer fantasieren darüber, dominiert zu werden, während rund 48 Prozent der Frauen dominante Gelüste in sich tragen. Selbst Fesselungswünsche sind ausgesprochen verbreitet, und hier zeigt sich, dass fast gleich viele Männer davon träumen, gefesselt zu werden (52 Prozent) wie Frauen, jemanden zu fesseln (48 Prozent). Interessanterweise erwiesen sich Männer bare als Memmen, wenn es darum geht, geschlagen oder gepeitscht zu werden: Nur 36 Prozent würden dies lustvoll erdulden, während 43 Prozent der Frauen durchaus heftig die Peitsche schwingen würden – wohlgemerkt, immer in der Fantasie.Vanille-Paare und Rollenwechsel
Und falls es weniger heftig sein soll? Nehmen wir einmal an, dass überwiegend „Vanille-Paare“ (2) vom Artikel angesprochen werden sollen, also Paare, die in lustvoller Romantik leben und lieben wollen. Auch für „Soft-Dominanz“ gibt es Zahlen. So lieben es Männer in ihren Fantasien, von ihren Partnerinnen masturbiert zu werden, und, falls man den Cunnilingus ebenfalls als Unterwerfung betrachtet, auch den aktiven Oralverkehr mit Frauen.
Doch, was ist mit der Realität? Da herrscht Ebbe bei der Umsetzung. Als Grund gilt unter anderem die Furcht, dass die Personen zu viel von ihrer Psyche offenbaren könnten, aber auch die Angst vor den Veränderungen, die die Praxis auslösen könnte, aber auch fehlende Kommunikation zwischen den Partnern.
Ehrlich gegenüber den eigenen Gelüsten sein
Am Anfang jedoch steht das Eingeständnis, sexuell nicht immer die zugewiesene Geschlechtsrolle einnehmen zu wollen. Sie kann oft ohnehin nur unter Mühe eingehalten werden, und falls dies so ist, ergibt sich für Männer eine ungeheure Erleichterung, sich einmal fallen zu lassen. Und für Frauen ist es ein Spiel mit der Macht über das Individuum „Mann“, aber auch als Herrscherin über seien „animalischen“ Begierden. Und aus dieser Sicht ist die neue Perspektive gar nicht so übel für beide.
(1) Schreibweise wir im Original.
(2) Vanille-Paar – Paar, das sexuell konservativ miteinander verkehrt.
Hinweis; Ich entnehme alle Zahlen der gleichen, ungewöhnlich verlässlichen Studie)
Illustration: Historisch, nach dem Titelblatt eines erotischen Buches.