Meckern – oder Tacheles über die Mängel einer Branche
Manche Menschen werfen mir jedes Jahr vor, ich würde viel zu viel meckern. Über die Branche zum Beispiel. Sie sei doch ohnehin in einer so schwierigen Lage. Ja, und genau diese Lage redet sie sich jeden Tag schön und hofft, dass nicht wieder so etwas passiert wie Smartphone-Dating. Und wenn sie sich den Tag genügend schön geredet hat, dann redet sie ihre Verfahren und Vorgehensweisen schön. Und ist stets bemüht, uns einzureden, dass sie sich nicht schön redet, sondern einfach todschick ist. Man muss wahrscheinlich katholisch sein, um das zu glauben.
Dabei – man muss ja auch mal das Schöne sehen – ist die Dating-Branche in einigen Teilen sogar unerlässlich. Nämlich beim Kennenlernen der Menschen über 35, und je älter die Suchenden werden, umso nötiger haben die Menschen einen Partner-Suchdienst. Und weil Menschen über 35 nicht mehr so naiv sind, wie die Manager sie gerne hätten, gibt es auch Kritik an deren Methoden – oftmals zähneknirschend – Verbraucherschützer kommen garstige Lieder davon singen. Aber weil es nun einmal die einzig sinnvolle Methode ist, heute noch über 35, 40 oder gar 50 einen Partner zu finden, haben die Unternehmen weiterhin Erfolge. Die kann man ihnen natürlich mal gönnen – nur wäre zu fragen, warum Unternehmen, die sich an Erwachsen (sogar an erwachsene Akademiker) wenden, sich so geheimnisvoll verhalten wie die Eltern von Kleinkindern vor Weihnachten.
Wenn es etwas zu meckern gibt, dann über den Gesetzgeber, der es einfach nicht schafft, das AGB-Gesetz so weit zu reformieren, dass der Konsument nicht ständig über den Löffel barbiert wird – und das ist bei vielen Sex-Dating-Unternehmen der Fall. Die machen teilweise nicht einmal einen Hehl daraus und schreiben in ihre AGB rotzfrech etwas herein, was sich im Grunde gegen die Interessen der Kunden richtet. Und lachen sich ins Fäustchen, das so etwas möglich ist.
Ach ja – und dann wäre da noch die Wissenschaft. Manche Wissenschaften verdienen den Namen „Wissen“ im ersten Teil schon gar nicht mehr, sie sollten besser „Machenschaften“ heißen, weil sie nicht der Wahrheit, sondern der Manipulation dienen. Und dann wundert man sich, wenn die Menschen nicht mehr an „Fakten“ glauben, sondern an Gedöns aus dem Mund moderner politischer Führer und Verführer.
Aber – der Konsument oder der Klient oder Leser oder wie Sie sich all nennen SIE sind damit nicht entlastet. Sie sind diejenigen, die das Denken bereits in der Schule zugunsten des blindwütigen Lernens vergessen haben, nicht wahr? Und Sie leihen sich Gefühlskorsetts, statt ihre wahren Gefühle auszudrücken – ist es nicht oft so? Und auch Sie lesen doch überwiegend Nachrichten, bei denen Sie alles abnicken können, nicht wahr?
Tun Sie nicht? Oh, da bin ich aber wirklich froh.
Sehen Sie, ich habe nichts zu meckern. Mein Leben ist ganz hübsch verlaufen. Aber ich wünsche mir merkwürdigerweise, dass auch ihr Leben einmal hübsch verläuft, falls dies gegenwärtig nicht der Fall sein sollte. Und deshalb meckere ich ab und an. Meisten Montags.
Ich wünsche Ihnen übrigens einen wundervollen Jahresbeginn.