Mehr Tabus oder weniger Tabus beim Sex?
Manchmal scheint es ja so zu sein, als würden alle sexuellen Tabus über den Haufen geworfen. Das behaupten jedenfalls viele Konservative. Sie sagen, dass wir Bürger „übersexualisiert“ wären, weil wir uns ständig mit erotischen Motiven konfrontiert sähen.
Auf der anderen Seite jedoch wurden neue Tabus aufgebaut: Insbesondere im „Neusprech“, also der „sozial korrekten“ Benennung, gemeinhin als „politische Korrektheit“ bekannt. Und nicht zuletzt hat die sogenannte „Genderforschung“ gemeinsam mit dem Feminismus weitere Schranken aufgebaut.
Das alles zusammengenommen könnte dies bedeuten, dass wir alle (durchaus einschließlich der Frauen) vorsichtig sein müssen, wenn wir uns auf das glatte Eis „ganz gewöhnlicher“ Ausdrücke begeben. Nehmen wir als Beispiel die „Schlampe“. Das Wort steht zwar im Ursprung für eine Frau, die leichtfertig und unordentlich ist, wurde aber bis vor einigen Jahren eher für eine sexuell überaus zugängliche Frau benutzt. Nicht vorrangig von Männern, sondern eben auch von Frauen. Nun versuchen vereinzelte Frauen, das Wort zu veredeln, um dem sogenannten Slut-Shaming, also der Verunglimpfung von sexuell zugänglichen Frauen, entgegenzuwirken. Ich nehme bewusst ein so einfaches Beispiel, weil es zeigt, wie wenig Wort ausdrückt, was wirklich gemeint ist.
Im Bereich der Genitalien sind Frauen keinesfalls prüde, wenn es um die Benennung der eigenen Geschlechtsmerkmale geht. Und sie sind ausgesprochen offensiv, wenn sie über männliche Genitalien reden: Allgemein ist es der Pimmel oder der Schwanz. Würde ein Mann das F-Wort benutzen, würde er gleich mal angerotzt, und selbst bei der „Muschi“ sollte man vorsichtig sein. Und wie sagt man eigentlich heute einer Frau, dass sie „schöne Brüste“ hat – falls man das Wort überhaupt noch in den Mund nehmen darf?
Wie tief die „offiziellen Tabus“ sitzen, kann jeder erfahren, der einmal nachfragt, wie Frauen und Männer „offiziell“ zu sexuellen Abweichungen stehen. Ob man als Journalist oder Autor nach gleichgeschlechtlichen Beziehungen, Triolen oder SM-Aktivitäten fragt, nach Notgeilheit bei Frauen oder Puffbesuchen bei Männern, immer erfährt man, dass „so etwas“ selbstverständlich „niemals“ infrage käme.
Je nach Befragung möchte man den Leugnern recht geben: Eigentlich ist das ja privat und geht niemanden etwas an. Aber dann kommt mir doch oft der Gedanke: Leugnen ist auch nicht gerade eine Tugend. Können wir nicht wenigstens zugeben, dass wir beim eigenen Geschlecht Attraktivität feststellen können? Oder dass es uns schon einmal gefallen hat, lustvolle Schläge zu bekommen? Oder wenigstens, dass uns der Gedanke, wenn er uns denn überfällt, nicht völlig fremd erscheint.
Wir erweisen den übrigen Menschen einen Bärendienst, wenn wir so tun, als seien wir die reinen Engel – denn dann glauben sie, sie seien „falsch“ oder „unnormal“. Sollten wir ihnen nicht besser sagen: „Ach, weißt du, wir alle haben gelegentlich merkwürdige Gefühle, aber solange du damit umgehen kannst, ist das alles OK.“
Manchmal muss ich lächeln, zum Beispiel, wenn so gut wie alle Frauen behaupten, niemals Vibratoren benutzt zu haben. Es ist viel charmanter, es zuzugeben. Wirklich.
Bild (Oberteil) nach einem bekannten historischen Foto.