Wenn Sie ihre erotische Träume ängstigen …
Ist Ihr Leben eigentlich stimmig? Ja? Und wenn Sie nun ihr Sexualleben dazurechnen, finden Sie, dass es mit dem übereinstimmt, was Sie zuvor noch als „stimmig“ bezeichneten?
Nehmen Sie nun noch ihre erotischen Wach- und Feuchtträume dazu. Sind Sie wirklich immer noch der Meinung, dass Körper, Geist, Seele und Sozialkontakte sich in einem Wohlklang befinden?
Warum Sexualität selten mit Integrität harmoniert
Die Philosophie nennt diesen Zustand des Wohlklangs „Integrität“. Besonders in der Sexualität allerdings weichen wir nur allzu gerne vom Pfad der „Stimmigkeit“ ab: Wenn die Lust und überfällt, dann lassen wir alle Wertvorstellungen fallen. Das ist weder neu noch falsch, denn die Natur hat ja ganz bewusst eine Ausnahme zugelassen: Wenn es um Sex geht, werden Regeln außer Kraft gesetzt wie:
1. Begebe dich nicht in Gefahr, wenn du sie vermeiden kannst.
2. Wisse um deine soziale Stellung im Rudel.
3. Weiche nicht auffällig im Verhalten ab, das irritiert andere.
4. Gehe sparsam mit deinen Energien um.
5. Greife nicht auf das Eigentum des Anderen über, das gibt Ärger (1).
Wen jetzt noch wundert, dass Menschen ständig vom Pfad der Tugend abweichen, dem ist vermutlich nicht mehr zu helfen. Es ist ein Grundproblem des Menschseins. Denn nur der Menschen denkt noch weiter über das nach, was ihn im Rausch der Sinne überfiel.
Die Frage ist allerdings, wie stark wir darunter leiden, uns beim Sex anders zu verhalten, als dies „vom Rudel erwartet wird“. Oder, noch extremer, wie stark wir bereits darunter leiden, über die Wollust zu fabulieren. Denn der „Konflikt zwischen unseren sexuellen Wünschen und unserem tatsächlichen Sexualverhalten“ ritzt auch Rillen in unser Selbstverständnis, und das kann uns gewaltig stören.
Die Latte für die Tugend liegt vielleicht einfach zu hoch
Das alles kann nun zwei elementare Gründe haben:
1. Unsere Vorstellung von „Tugend“ ist zu hoch angesetzt. Legen wird die Latte niedriger, dann dürften die Probleme kleiner werden.
2. Wir sind zwar geistig willens, den Werten zu gehorchen, die wir mit uns (oder mit dem Ehepartner) vereinbart haben, wir wichen aber dennoch davon ab.
Ohne jeden Zweifel ist der zweite Grund konfliktträchtiger als der Erste. Doch wie können wir damit umgehen?
Vor allem, indem wir uns darüber klar werden, wer wir wirklich sind. Wir sollten uns niemals davon täuschen lassen, wie andere uns gerne hätten oder wie wir selbst im Licht der Öffentlichkeit gerne wären. Und sehen Sie – Sie sind kein Religionsstifter, der über dem Boden schwebt, und kein irdischer Moralapostel, der die Tugend mit dem Löffel gefressen hat.
Sie sind ein Mensch – nichts anderes
Wenn Sie sich daran festhalten, was andere sagen, immer schon gesagt haben und immer wieder sagen werden, dann werden Sie immer wieder finden, dass Sie der böse oder zum Bösen verführte Mensch sind. Früher sagte man, dass Satan hinter jedem Baum hervorspringen konnte. Und selbst heute glauben noch viele Christen, dass Satan genau in diesem Moment unter uns ist, um uns zum Bösen zu verführen.
Nein – Sie müssen sich selbst finden – auch in Ihrer Sexualität, und zwar vor allem auf geistiger Ebene. Lassen Sie doch einfach zu, dass Gedanken und Vorstellungen ihr Hirn durchdringen. Ordnen sie diese nicht als „richtig“ und „falsch“ ein, sondern als „mag ich“ und „mag ich nicht“. Es reicht auch, zu sagen: „Kann ich mir in der Fantasie vorstellen, fände ich in der Realität aber schwierig.“
Wenn Sie einmal so weit sind, werden Sie finden, dass Sie die Welt mit völlig neuen Augen sehen, und sich dennoch gar nichts verändert hat. Warum auch? Sie sind OK, wenn Sie ehrlich gegenüber sich selbst sind. Sie sind wahrscheinlich nicht OK, wenn Sie sich ständig selbst betrügen.
(1) Das Besitzrecht des Alpha-Männchens an einem Harem weiblicher Primaten ist sozusagen nahtlos übergegangen in den Eigentumsbegriff dessen, was Christen als das „Alte Testament“ bezeichnen: Du sollst nicht nach dem Haus deines Nächsten verlangen. Du sollst nicht nach der Frau deines Nächsten verlangen, nach … seiner Sklavin, …seinem Esel oder nach irgend etwas, das deinem Nächsten gehört.
Zu Tacheles: Mein Name ist Gebhard Roese. Und dich rede Tacheles, wo andere Ihnen das Blaue vom Himmel herunterlügen.
Bild: vermutlich von Paul-Emile Becat, Illustrator, frühes 20. Jahrhundert.