Klappern mit dem Sargdeckel: Wie gefährlich ist „digitale Liebe?
Wie das klingt: „Der Horror von Höxter“ – da überfällt uns das kalte Grausen und wir tauchen ein in eine Welt, die niemand mehr verstehen kann – und die wir am Eden auch gar nicht „verstehen“ wollen. „Das Grauen begann mit dem Versprechen der großen Liebe“, schreibt die WELT und klappert erst mal mit dem Sargdeckel. Man brauchte immerhin rund 425 Wörter für das Horror-Spektakel. Zur Entlastung der Welt: Der Artikel ist insgesamt über 3500 Wörter lang. Doch dem Horror, dem Betrug und dem Schwindel begegnete ich noch einige Male.
Gehen wir mal direkt auf die „ungern diskutierte Seite“ der Begegnungen, wie die Welt schreibt, dann haben wir tatsächlich das, was die Sensationspresse sucht: Totschlag, Misshandlung, Freiheitsberaubung, Nötigung und Vergewaltigung. Hinzu kommen digitale, aber auch durchaus ganz gewöhnliche Formen Heiratsschwindel und eine vermutlich hohe Dunkelziffer an Ausspähungen und Erpressungen. Letztere dürften eine beachtliche Dunkelziffer aufweisen, interessiert die Presse aber nicht die Bohne.
Die WELT (Zitat):
Skrupellose Betrüger … die mit erlogenen Profilen leichtgläubige Opfer aus dem schier unerschöpflichen Datenmeer fischen, um sie für ihre Zwecke zu missbrauchen. Wer blind vor Liebe ist, geht den Lügenmärchen digitaler Räuberbanden umso leichter auf den Leim, nicht selten bis zur Selbstaufgabe, bis in den Ruin. Und im Extremfall bezahlt man die blinde Liebe mit dem Leben.
Horror hin, Betrüger her – doch was ist die Botschaft der WELT?
Es ist nicht leicht, aus dem Artikel der WELT herauszulesen, was die Botschaft ist, die hinter allem steht, es sei denn, sie wäre: „Der Kontakt mit Unbekannten ist gefährlich.“ Der Artikel vermittelt dennoch den Eindruck, als würde das Risiko gegenüber den Chancen zumindest pari stünden, wenn die Risiken nicht gar die Chancen überwiegen würden.
Sind die Risiken beim Dating wirklich so hoch?
Auf gar keinen Fall. Wenn in einem Satz gesagt wird, dass bei einer namhaften Singlebörse auch häufig „Sexanfragen“ kommen, dann zeigt dies nur, dass Sex-Anfragen eine gewisse Erfolgsquote haben. Aber Sex-Anfragen sind keine Verbrechen, und jeder, der auf Dates geht, muss sie aushalten können. Verbrecher handlen ganz anders: Sie gebe vor, Liebe zu schenken – das ist das zuckersüße Lockmittel, das die Gehirne verkleistert. Endlich Liebe, endlich Verständnis, endlich Zuneigung. Aber auch das ist kein Verbrechen. In einigen Dutzend erbärmlicher, frauenverachtender Bücher (im Buchhandel wohlfeil) wird gezeigt, wie „verliebt machen“ funktioniert – mit dem Ziel, das Objekt der Begierde sofort „flachzulegen“.
Die Opfer – Fallengänger(innen) aus Unzulänglichkeit?
Erstaunlich, dass solche entwürdigenden Blitz-Verführungen tatsächlich in manchen Fällen funktionieren. Die Frauen, die daraus hereinfielen, sagen am nächsten Tag zumeist „Sicherung durchgebrannt“ oder „es lag am Alkohol“, oder, ehrlicher: „Ich schäme mich. Ich habe mich selbst vergessen und ihm nachgegeben.“ Transponiert man das Schema der Blitzverführung aus niedrigen Beweggründen auf die wirklich schlimmen Fälle, so ist das Schema nicht anders. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die Verliebtheit systematischer aufgebaut und vertieft wird, um mehr Vertrauen aufzubauen, um irgendwann „Kasse zu machen“. Die meisten Frauen sind allerdings dagegen gefeit: Einmal aus Versehen auf einen Trickverführer hereingefallen zu sein, ist eine andere Sache, als ständig aufs Neue emotional ausgebeutet zu werden.
Übrigens – dabei war nicht von „digital“ die Rede. Der rein digitale Betrug ist eine Sonderform, als „Love Scam“ weitgehend bekannt und insofern äußert gefährlich, als es die Opfer wirtschaftliche ruiniert und emotional bloßstellt.
Die Gefahr steigt mit Illusion, Begierde und Verwirrung
Eine Gefahr für Leib und Leben besteht immer dann, wenn aus einer gewissen Gefühlsverwirrung, dringenden Bedürfnissen und irrealen Vorstellungen solche Abenteuer eingegangen werden, die mit großer Wahrscheinlichkeit nicht bestanden werden können. Das Schema ist relativ einfach: Ein mutiger und selbstbewusster Abenteurer (egal, ob Frau oder Mann) hat soviel Erfahrung, dass er das Risiko abschätzen kann und die Ausstattung, um Gefahren abzuwenden. Eine labile, naive und möglicherweise emotional schlecht verdrahtete Person folgt Illusionen und läuft in die ausgelegten Fallen herein. Auch das hat ursächlich nichts mit Online-Dating zu tun. Doch sobald die Täter „online“ schauen, brauchen Sie sich nur die Stichworte für „beeinflussbar“, „schlechte Erfahrungen oder „Unsicherheit“ herauszusuchen.
Halten wir fest: ja, es gibt Gefahren. Und die Menschen, die sich als Opfer eignen, werden zumeist gezielt abgefiltert. Aber: Für Menschen, die ihre eigenen Bedürfnisse im Griff haben, die sich selbst lieben und eine angemessene Erfahrung im Umgang mit Fremden haben – für diese Personen ist das Risiko vernachlässigbar.
Bild: Aus einem Magazin der 1930er Jahre, das angeblich „wahre Geschichten“ aus dem Bereich der Kriminalität druckte.