2015: Die Presse lügt nicht, aber sie erfindet Wahrheiten
Die Presse lügt nicht. Aber sie erfindet Wahrheiten. Und sie verbreitet ungeprüfte Materialien, die aus vermeintlich sicheren Quellen stammen. Insofern ist es dumm, dreist und überheblich von der Lügenpresse zu sprechen, aber sicherlich legitim, von einer rechercheschwachen Sensationspresse zu reden.
Wenn ich auf die Presse schaue, dann aus der Sicht wissenschaftlicher Nachrichten. Die werden gerne genommen, weil sie den Anschein der Aufrichtigkeit ans Volk abstrahlen. Journalisten sollten wissen, wer solche Nachrichten verbreitetet, und zu welchem Zweck sie verbreitet werden. Das beherzigen sie aber nicht.
Man sagt, die Boulevardpresse sei unkritisch und sensationgeil. Das ist sie sicherlich, weil sie jeden Tag am Kiosk verkauft werden will. Doch oft wird übersehen, dass Teile der Onlinepresse dem in nichts nachsteht– sie veröffentlicht die gleichen Pseudo-Sensationen, nur kürzer und ohne Balkenüberschriften. Und die Bürger- und Abonnentenpresse? Sie ist überwiegend zur „Abnickpresse“ verkommen. Man schreibt zwar über alles, tut so, als wäre man liberal und verbannt das Kritische ins Feuilleton – wenn es überhaupt erscheint.
Die Presse befriedigt am liebsten Klischees
Ein großer Teil der Presse bemüht sich, Klischees zu befriedigen, vor allem die Unterschiede zwischen Frauen und Männern – und dafür ist jede Meldung, so windig sie auch sein mag, gut. Nahezu jeder Mensch, ob Single oder in Beziehung, erlebt die Unterschiede durchaus real. Wir wissen: Die Gehirne von Frau und Mann sind so gut wie identisch, aber man versucht, sie in „weibliche“ und „männlich“ Gehirne zu zerteilen. Wir wiesen sicher, dass wir den Mächten der inneren Natur unterliegen, und dass es Botenstoffe sind, die unsere Begierde auslösen. Und dennoch werden Männer als geile Hengste gebrandmarkt, während Frauen das soziale Leben am Herzen liegt. Jede noch so erbärmliche Meldung aus der vermeintlichen „Wissenschaft“ wird genutzt, um dies zu bestätigen. Bisexualität ist dem Menschen als Möglichkeit gegeben, und er kann sie praktizieren oder auch nicht: Aber es ist keinesfalls richtig, dass ihre Verbreitung, statistisch gesehen, auf „falschen Fragestellungen“ beruht – und ebenso falsch ist, dass „alle Frauen bisexuell“ sind.
Guck, da färbt sich eine Region im Gehirn- das muss die Liebe sein
Sogar die etwas exakteren Wissenschaften verkohlen uns nach Strich und Faden – da wird uns suggeriert, man könne durch Magnetresonanzverfahren die Liebe entschlüsseln. Tatsache ist, dass man bestenfalls die Gehirnregionen beobachten kann, die durch sexuelle Stimulanz erregt werden. Wie die Gelüste dann durch Denkprozesse umgewandelt werden, in welche Richtung auch immer, ist völlig unbekannt.
Körper ohne Hirn: Dumm wie Suppe
Auch das Gegenteil ist verbreitet, vor allem im Feminismus: Männer „denken mit dem Schwanz“, Frauen erregen sich „allein durch die Klitorisreizung“. Beide Aussagen sind von nichts als dunkelstem Unwissen geprägt: Alles, was die Lust betrifft, muss rauf zum Hirn und vorn dort wieder herunter, und dabei mischen sich zahllose Erfahrungen, Hemmungen und Befindlichkeiten ein.
Nein, die Presse lügt nicht. Aber sie recherchiert schlecht, erfindet aus dem verpuffenden Feenstaub der „Wissenschaft“ neue „Wahrheiten“ und verbreitet im Zweifel lieber Vorurteile, als aufzuklären.
Und genau das ist schade.