Die neuen Moralisten: Sag deutlich „Ja, ich will“
Menschliche Kommunikation besteht aus zwei wesentlichen Elementen: den non-verbalen Signalen, die wir ständig, auch ungewollt, aussenden. Und den Sätzen oder Wortfetzen, mit denen wir uns ansonsten verständigen. Man kann in etwa sagen: Auf der Gefühlsebene wird non-verbal, also analog kommuniziert, und Worte sind eher Beiwerk. Auf der Ebene der Informationen wird hingegen überwiegend verbal kommuniziert, und die Emotionen sind eher Beiwerk – mal erwünscht, mal unerwünscht.
Sind wir uns wirklich sicher, dass beide Kommunikationsformen ihre Berechtigung haben? Manche Frauen, die man zu den „neuen Moralisten“ zählen könnte, bezweifeln dies.
Einvernehmlicher Sex – nur durch Verhandlungen möglich?
Es geht – wie könnte es anders sein – um „einvernehmlichen Sex“. Bisher konnte Sex einvernehmlich sein, wenn er in irgendeiner Weise vereinbart wurde, verbal oder nonverbal. Nun aber soll gelten (Zitat):
Was hier (red: in Hollywood-Filmen) als Leidenschaft deklariert wird, ist in Wirklichkeit übergriffig und nötigend, ja, zum Teil faktisch strafrechtlich relevant. Dabei könnte man im narrativen Film so einfach Zustimmung mit nur einem Satz einbauen.
Im narrativen Film – wie nett. Das hieße dann:
Er: „Darf ich dich küssen?“
Sie: „Ja du darfst!“
Oder eben:
Sie: „Nein, du darfst nicht.“
Warum das eingebaut werden soll? Aus moralischen Gründen. Und damit durchgesetzt werden kann, dass nur verbale Kommunikation „richtige Kommunikation ist“.
Die Autorin „Rocky Balbea“ verwendet nicht die Worte „verbale Kommunikation“ oder richtige Kommunikation“, sondern verlangt „klare Kommunikation“ (erneutes Zitat):
Sowohl im Film als auch im Alltag ist es schwierig, ohne klare Kommunikation herauszufinden, was erwünscht ist und was nicht.
Um es deutlich zu sagen: Was die Autorin als „klare Kommunikation“ bezeichnet, ist verbale Kommunikation, und der Prozess, den ich zuvor beschrieben habe, ist eine Verhandlung. Da ergibt sich natürlich die Frage, warum heutige Menschen (die Autorin ist nicht die Einzige, die so denkt) der non-verbalen Kommunikation nicht mehr trauen und partout auf eine „Verhandlung“ ausweichen wollen. Meine Antwort wäre: Weil sie verlernt haben, non-verbal zu kommunizieren – und das verleitet sie, auf verbale Kommunikation auszuweichen.
Doch – wer möchte eigentlich, dass Küsse und andere lustvolle Anträge verbal verhandelt werden? Denn wenn es so wäre, müsste auch die nächste Aktion in eine Verhandlung münden, und jede folgende Aktion ebenso. Woraus sich die nächste Frage ergibt: Erhält sich bei all diesen Verhandlungen überhaupt die spontane Lust?
Ich habe vor einigen Jahren einmal eine überaus schöne, pragmatische und studierte Frau gefragt, was sie tun würde, wenn sie ein Mann fragen würde, ob „er sie küssen darf“. Ihre Antwort war: „Wenn er schon so ankommt, dann sag ich: Schieß in den Wind.“
Übrigens kommt die Frage auch im umgekehrten Fall gar nicht gut an. Meine Antwort wäre Spott: „Wenn du dir etwas davon versprichst“ – aber ich bin inzwischen drüber hinaus, fremde Frauen zu küssen – gefragt oder ungefragt.