Fördern Dating-Apps den Tripper?
Werden sexuell übertragbare Krankheiten durch Apps gefördert? Da ist schnell mal ein unpassender Satz in einem Interview gefallen, und schon plappert die Medienwelt nach, was im Grunde völlig unbewiesen ist: Dating-Apps fördern den Tripper, und heterosexuelle Jugendliche seien besonders gefährdet, weil überwiegend sie diese Apps nutzen würden. Bevor Sie in Panik ausbrechen, falls Sie Eltern von Teenagern sind: Lesen Sie die Liebe Pur und diesen Artikel. Denn wir haben nachgesehen, was dran sein könnte – und fanden merkwürdige Ungereimtheiten. Wer wirklich bei der BBC oder in den Originalquellen gesucht hätte, wäre zu dem gleichen Ergebnis gekommen. Aber wer tut das schon, wenn er schnell mal irgendwo abschreiben kann?„Dating-Apps erhöhen Tripper-Risiko“ titelte N24 und berief sich dabei einerseits auf „einen der führenden britischen Sexualwissenschaftler“, einen gewissen Peter Greenhouse, andererseits auf die renommierte BBC, die in der Tat einen ausführlichen Artikel dazu veröffentlichte.
In aller Kürze gesagt, äußerte sich Dr. Greenhouse gegenüber BBC Newsbeat kritisch über Dating-Apps, die dazu führen würden, dass sich sexuell übertragbare Krankheiten unter Heterosexuellen schneller verbreiten würden. Er habe vor allem Bedenken wegen des HIV-Risikos.
Selbstverständlich haben die Neuinfektionen in bestimmten Bereichen (namentlich beim Tripper (Gonorrhoe) und bei der Syphilis, ursächlich nicht mit den bekannten Dating-Apps zu tun. Es handelt sich vielmehr um einen Trend, das Karussell sexueller Begegnungen schneller zu drehen als bisher – und diese Entwicklung hat man auch schon Online-Dating oder Casual Dating angelastet. Das Resultat kann in einer größeren Verbreitung von STDs münden – allerdings nur dann, wenn bewusst oder leichtfertig auf den Gebrauch von Kondomen verzichtet wird. Für die Bezichtigung der „Apps“, würde sprechen, dass heterosexuelle Personen schneller und unmittelbarer auf sexuelle Kontakte eingehen und demnach nicht auf geschützten Sex vorbereitet sind.
Die Statistiken sollen Beweise liefern – tun es aber nicht
Als verlässlich werden allgemein die Daten des britischen Gesundheitsdienstes angesehen, die angeblich den Trend stützen und „beweisen“ sollen, dass die Verbreitung von STDs durch Dating-Apps zutrifft. Doch gerade dies dies ist nicht der Fall. Denn nach wenig wechselnden, teils sogar rückläufigen Zahlen zwischen 2005 und 2010 stieg die Anzahl erst im Jahr 2011 erheblich an. In der Zeitspanne von 2010 bis 2014 hat sie sich dann gar verdoppelt.
Hat das nun etwas mit einer erheblichen Zunahme spontaner und ungeschützter heterosexueller Kontakte zu tun?
Erhellend ist, sich nun die Differenzen zwischen Frauen und Männern anzusehen. Denn obgleich auch die Neuerkrankungen der Frauen zunahmen, stiegen diese zwischen 2010 und 2014 „nur“ um etwa 61 Prozent, bei den Männern aber um 128 Prozent.
Doch was ist nun mit den Dating-Apps? Sind sie wirklich die Ursache für die stärkere Verbreitung von STDs? Betrachten wir andere STDs, wie etwa die Syphilis (früher als Franzosenkrankheit berüchtigt), ergibt sich ein merkwürdiges Bild: Bei Männern stieg die Anzahl der Neuerkrankungen seit 2010 stetig, bei Frauen ging sie zurück. Das Bild ist also uneinheitlich – und damit werden die Horrorüberschriften relativiert.
Was ergibt sich für die Apps, den Tripper und die Jugend?
Seit 2010 sind nicht nur Apps unterwegs – auch andere sogenannte „soziale Medien“ fördern den Austausch von Gedanken, Emotionen und selbstverständlich auch Körperflüssigkeiten. Es ist unbestritten, dass Apps zu schnelleren und häufigeren Kontakten führen, wozu dann eben auch Sexualkontakte gehören, und ebenso unbestritten ist, dass „Spontansex“ häufig ohne Kondom ausgeführt wird. Weitere Gründe hat im Guardian der Sex-Berater Justin Hanclock aufgeführt, dessen Webseite Bish viel für die Sexualaufklärung Jugendlicher leistet.
Allerdings sind Frauen für Spontansex nach wie vor weniger empfänglich als Männer, und im Allgemeinen gehen sie ungeplanten, verhütungslosen und gesundheitsgefährdenden Sex nur dann ein, wenn Leichtsinn, Naivität, Alkohol oder Drogen im Spiel sind.
Gegen ungeschützten Sex unter dem Einfluss von Rauschdrogen inklusive Alkohol gibt es wenig Hoffnung: Damit werden Berater aller Art immer wieder zu tun haben. Aber gegen die Gefahren von spontanem Sex gibt es immerhin das Kondom – und dabei ist Grundvoraussetzung, dass Frauen und Männer bei Dates jeglicher Art mindesten zwei Kondome in Reichweite mit sich führen. Und es ist an der Zeit, dass Katholiken oder sittenstrenge Protestanten damit aufhören, die Sexualerziehung und den Kondomgebrauch zu attackieren.