Der Tränenstrom der Frauen nach dem Geschlechtsakt
Schlaumeier haben da so ein Zitat, das sie alle naselang anbringen: „Nach dem Geschlechtsakt ist der Mensch gewöhnlich traurig“. Wer ein besonderer Klugscheißer sein will, und mit Lateinkenntnissen prahlt, der weiß mehr:
Post coitum omne animal triste est, sive gallus et mulier.
Wer’s erfunden hat, ist scheißegal – doch muss es sich um eine erstaunlich blöde Person gehandelt haben. Aristoteles, dem das Zitat gelegentlich zugeschrieben wird, war meiner Meinung nach nicht so blöd, diesen Schwachsinn in die Welt zu setzen – und Galenos von Pergamon wohl auch nicht, es sei denn, er habe gescherzt.
Das große Weinen der Frauen nach dem Geschlechtsakt – bestenfalls gut für eine Satire
Nun kann man natürlich alles Beforschen, und dann müssen eben gerade die Frauen (die vorher ausgeschlossen waren) nach dem Geschlechtsakt furchtbar weinen. Die Tränenseen werden immer größer, quellen schließlich über, und schon kann die Kanalisation das viele Tränenwasser gar nicht mehr schlucken. Vor den Praxen der Shrinks und der Klapsmühlen bilden sich lange Schlangen, und die Feuerwehr hat Mühe, dort die Tränenflüssigkeit wegzupumpen.
Forscher forschen forsch – doch nur vier Frauen von 200 hatten wirkliche Probleme
Och, doch nicht? Oder doch? „Forscher“, so behaupteten gegenwärtig ein paar einschlägige Skandalzeitungen, Bürgergazetten, Gratisblätter und Abschreiber, würden nun die „die Erklärung kennen, warum viele Frauen nach dem Sex weinen.“ Nur leider stimmt davon kein Wort. Die Forscher „erkannten“ durch Befragungen lediglich, dass einige Frauen nach dem Sex traurig waren, ohne einen besonderen Grund dafür nennen zu können. Die Befragten waren allesamt heterosexuelle Studentinnen von durchschnittlich 26 Jahren (1) – also waren darunter auch viele Frauen, die sich noch in der Entwicklung ihres Emotionskostüms befinden. „Knapp die Hälfte (46 Prozent) der Frauen hat nach den Ergebnissen der Studie angegeben, „schon einmal“ ohne Grund nach dem Geschlechtsverkehr traurig gewesen zu sein. Oder war es nach dem Kauf eines neuen Paars Schuhe? Nein, nein, nach dem Geschlechtsverkehr. Irgendwann einmal. War es mit 14 oder kürzlich? Selbst wer die dünnen Presseberichte darüber gründlich beäugt, kommt zu dem Ergebnis, dass bestenfalls vier der Frauen (ja VIER) jedes Mal nach dem Vögeln traurig gewesen seien. Und nur knappe zehn (ja, wirklich ZEHN) hätten diese Empfindung kürzlich gehabt hätten – nämlich in den vergangenen vier Wochen.
Vögeln ist kein Ponyhof und Tränen sind völlig unerforscht
Hey, ihr Studentinnen. Das Leben ist kein Ponyhof und Vögeln erzeugt eine gewisse Bewegung der Neurotransmitter, die nicht immer in der Wirkung voraussehbar ist. Und das Weinen ist an sich ein ziemlich unerforschtes Gebiet – schließlich gibt es neben dem Blues nach dem Sex, der in Tränen enden mag, auch noch die Freudentränen. Und überhaupt sind Tränen nichts grundsätzlich Negatives.
Plappernde Journalisten allerorten
Und die Journalisten, die den ganzen Stuss weiterplappern? Sie sind eben nicht das, was wir uns von ihnen wünschen: kritische, abwägende Mitmenschen, die in der Lage sind, das zu filtern, was von den Elfenbeintürmen ausgegossen wird. Die Originalquelle der meisten abgekupferten (deutschen) Presseberichte war übrigens DIE WELT.
Oh, es gibt noch einen Namen für das Phänomen, logisch. Heißt „Postkoitale Dysphorie“. Eine Dysphorie ist eine alltägliche Störung des Gemütszustandes ohne Krankheitswert. Ich wiederhole gerne: Es handelt sich um eine ganz gewöhnliche Verstimmung, und nur vier der untersuchten Studentinnen gaben an, davon ständig betroffen zu sein. Ach, wie toll. Eine Bloggerin vermutete, dass die Studie einen betont feministischen Hintergrund hat – doch verifiziert werden konnte das nicht. Autor der Studie ist Professor Robert Schweitzer, der bereist 2011 eine ähnliche Studie durchführte. Er glaubt, dass die „postkoitale Dysphorie“ noch nicht genügend erforscht ist, und hält seine Forschungsergebnisse selbst offenbar für sehr aufschlussreich.Sie
(1) diese Zahl stammt aus einer Pressequelle, nicht aus dem im Internet verfügbaren Extrakt der Forschungen.