Die Liebe pur – oder der Liebesmarkt, pur?
Wie ein Mantra geistert ein Satz durch alle Publikationen: Liebe kann man nicht kaufen. Offenbar benötigen wir diesen Satz, um das zu suchen, was wir etwas schwammig als die „wahre Liebe“ bezeichnen. Vom Schlager und damit von der Küchenpsychologie sind wir dabei nicht weit entfernt: Die Hure verkauft bei Cole Porter „Alte Liebe, neue Liebe, alles außer wahrer Liebe.“
„Wahre Liebe“ im Gegensatz zur „Ware Liebe“? Das Gedankengebäude, in dem „wahre Liebe“ auf dem Thron der Unantastbarkeit steht, ist auf Sand gebaut. Wer einmal „wahre Liebe“ empfunden hat und darüber reflektieren kann, muss alt und weise sein. Oder jung und nachdenklich. Denn „wahre Liebe“ ist eine langsam wachsende Pflanze, die nur schwache Bezüge zum Lieberausch hat – wenn überhaupt.
Liebe – das eingebaute Gefühl, der unendliche Kitsch
Liebe ist, wie kaum ein anderes Gefühl, von Erfahrung geprägt und dennoch von Kitsch verdorben. Was die Mischung von Geborgenheit, Romantik-Kitsch und Wollust letztendlich produziert, ist eine Illusion. Wieder zitiere ich Cole Porter: „Lass die Dichter ihre Lieder trällern, kindlich, wie sie sind – ich kenne jede Art von Liebe, weitaus besser als sie.“
Ist Liebe doch käuflich?
Eigentlich habe ich die Antwort schon gegeben: Was sich über lange Jahre entwickelt und tief in Körper, Geist und Psyche verwoben ist, kann man nicht kaufen. Und also kann man die über Jahre gewachsene Liebe nicht kaufen.
Warum Liebe verkauft und gekauft wird
Falls Sie nun beruhigt sein sollten, will ich sie beunruhigen: Die gewachsene Liebe hat nämlich mehrere Schwestern, die allesamt ziemlich verhurt sind, und sie geben sich, wie bei Huren ja nicht unüblich, ständig neue Namen.
Alle diese Schwestern nutzen den Wunsch nach Geborgenheit, Sinnlichkeit, Zärtlichkeit, Nähe, Erotik, Ekstase, und nicht zuletzt sexueller Lust, um Angebote in die Welt zu schicken.
Diese „Liebe“ ist im Angebot. Sie leuchtet in grellen Farben in Bordellstraßen und in matten Pastelltönen im Alltag. Für sie ist jeden Tag Markttag, und alle Tage wird um sie verhandelt. Warum dies nicht auffällt, hängt mit einem gesellschaftlichen Tabu zusammen: „Es gibt keinen Markt der Liebe, weil Liebe nicht käuflich ist.“
Der Markt der Liebe darf nicht existieren – und er lebt doch
Das ist – mit Verlaub – eine himmelsschreiende Verdummung. Denn Frau und Mann kommen nicht durch Himmelsboten wie Amor oder Venus zusammen, sondern durch den Markt, auf dem sich sich verfügbar halten. Dort werden dann die Attribute vermarktet, und außer den bereits genannten tief liegenden Emotionen kommen noch äußere Aspekte (Schönheit, sportliche Figur) und Persönlichkeitseigenschaften sowie “Zukunftstauglichkeit“ dazu, um den „Marktmix“ günstigst darzustellen.
Um falschen Schlüssen vorzubeugen: ich rede werde von Online-Dating noch von App-Dating noch von irgendeinem anderen Dating. Markt ist überall und jederzeit, wo ein Flirt möglich ist.
Warum der Markt der Liebe für alle gut ist
„Markt“ ist –jedenfalls in den Köpfen der Unwissenden – etwas ganz schreckliches. Es erinnert sie an Sklavenhandel, Prostitution und Anbiederung. Für die Wissenden ist es ganz normal, am Marktgeschehen teilzunehmen, was sich etwas in dem Satz vieler Frauen manifestiert „die Konkurrenz ist groß“. Und dabei wird klar: Mann und Frau sind normalerweise keinesfalls „käuflich“, bieten aber ihre Eigenschaften dennoch selbstbewusst, deutlich und bisweilen auch verführerisch an.
Klar ist auch – nur, wer auf dem Markt ist, kennt den eigenen Wert für mögliche Partner. Ich habe eine Menge Leute gesprochen, die sich absolut unklar darüber waren, welchen Wert sie am Beziehungsmarkt hatten. Und natürlich waren auch solche darunter, die ihren Marktwert stark überschätzten, weil sie nicht bewusst am Markt teilhaben. Es ist also gut, auf den Markt zu gehen, sich dort zu präsentieren und den eigenen Wert an diesem Markt einschätzen zu können.
Jederzeit im Angebot: alle Liebes-Illusionen dieser Welt
Da wäre noch ein Punkt: Wenn wir unterstellen, dass man gewachsene Liebe nun wirklich nicht kaufen kann, dann wäre da noch eine dieser etwas anrüchigen Schwestern: die Illusion. Auch sie hat viele Farben und Facetten, aber alle haben die Eigenschaften von Industriediamanten: Sie ist von der echten, wachsenden Liebe zunächst nur schwer zu unterscheiden. Sie beruht nicht nur auf äußere Täuschung, sondern auch auf Selbsttäuschung – und sie ist gut verkäuflich.
Erinnern Sie sich an all die begabten Schwestern der Liebe, die sich gut verkaufen lassen? Sie bieten je nach Situation und Wunschlage dies:
Geborgenheit, Sinnlichkeit, Zärtlichkeit, Nähe, Erotik, Ekstase, Verführungen und – eher nicht im Vordergrund – sexuelle Lust.
Keine Niedertracht, sondern Alltag: Illusionen der Liebe
Das Gebräu, das daraus gemixt wird und das wir dann begierig trinken, ist keinesfalls eine Droge, die ausschließlich von niederträchtigen Gestalten und Betrügern zum Einlullen verwendet wird. Sie ist die übliche Alltagsdroge, mit der das beginnt, was wir als „Verliebtheit“ „romantische Liebe“ und dergleichen erleben. Und weil wir es uns so gut wie alle wünschen, einmal in diesem Rausch zu leben, können wir ihn ihm auch genutzt, missbraucht oder gar abgezockt werden.
Wäre noch eine Frage zu klären – wie wird für Liebe bezahlt?
Wer sich Illusionen kaufen will, kann die auf mehrere Arten tun. Er kann mit Emotions-Zertifikaten (1) bezahlen, die für ihn mehr oder weniger Wert haben können, mit psychischen Nachwehen, die erhebliche Auswirkungen haben können oder mit relativ großen Summen Geldes, eventuell auch nur mit Geldeswert. Illusionen verkaufen kann jede und jeder. Ob es nun opportun ist, es zu sagen oder nicht: Viele Menschen steigen lediglich auf Illusionen ein, die Frauen oder Männer in sich tragen, und erzeugen dabei kaum ein zusätzliches Gefühl. Sie nutzen, mit anderen Worten, die Selbsttäuschung des Partners, und ihr Lohn heißt meist: „eine schicke Affäre“, solange die Illusion anhält. Illusionen willentlich zu erzeugen und zu missbrauchen, ist eher eine Masche der restlich verbliebenen Machos und Goldgräberinnen – ganz zu schweigen von Betrügerinnen und Betrügern. Bleiben Illusionen gegen Geld, wie etwa er die Escortfrau, für die kurzfristige Illusion, die alles spielt, was der Mann sich wünscht. Oder die schauspielerisch begabte Geliebte, die jedes Gefühl glaubhaft simulieren kann, wenn man sie ausreichend sponsert.
Liebe ist käuflich, solange wir sie nicht von der Illusion trennen können, die uns die „Verliebtheit“ vorgaukelt. Und was ist der Preis, der bezahlt wird? Er kann alles sein – der Verlust eines Teils der Freiheit, emotionale Schmerzen oder Geld. Und die Liebe, von der ich zu Anfang sprach, jene Liebe also, die wächst und am Ende bleibt? Die müssen Sie einfach wagen.
(1) Der emotionale Persönlichkeitsgewinn durch gewonnene Zuneigung, Sex oder bewiesene erotische Attraktivität wird auch als „psychisches Einkommen“ bezeichnet. Der Theorie nach kann er auch als „Zahlungsmittel“ genutzt werden. Bilder: Oben Jean-Léon Gérôme, Historiennmaler, unten: Ländliche Verführungsszene, Herkunft unbekannt.
2 Antworten auf Die Liebe pur – oder der Liebesmarkt, pur?