Partnersuche: wie wir an der Nase herumgeführt werden
Wenn man von der Entwicklung der Liebe und der Beziehungen im 21. Jahrhundert spricht, sollte man meinen, man würde etwas sehr ernsthaftes diskutieren. Doch heute stehen an jeder Informations-Straßenecke ein paar Koberer, die uns raten, den Weg ins nächste Tingeltangel zu suchen.Ich sage s mal frank und frei: Wenn Sie über Liebe, Lust, Leidenschaft, Beziehungen oder Ehen sprechen, dann reden sie über etwas, das die Menschheit in den kommenden Jahren prägen wird. Wenn Sie jedoch von „Online-Dating“ oder „Smartphone-Dating“ sprechen, dann reden Sie von Methoden der Kontaktaufnahme, die einen kommerziellen Hintergrund haben. Das bedeutet: Es dauert nicht lange, bis eine fadenscheinige Begründung aus dem Zylinder- und Kompotthut gezogen wird. Diesmal war es wieder Helen Fisher, (1) die den Vogel abschoss:
Tinder funktioniert so gut, weil es das Erste imitiert, was sie im richtigen Leben tun: Die Person anzusehen.
Was natürlich Blödsinn ist – denn sie sehen nicht die Person, sondern (hoffentlich) ein Foto der Person. Seit Jahren wollen uns die PR-Unternehmen und Dating-Firmen einreden, dass ein Foto „die Persönlichkeit“ darstellt oder widerspiegelt, und dass wir das Foto wahrnehmen wie eine Person. Dazu bemüht man sogar willfährige Wissenschafter, die dann auch noch „beweisen“ sollen, dass es es sich genau so verhält.
Nein, es verhält sich nicht so. „Die Person“ bewegt sich, zeigt uns wenigstes ein wenig Mimik, hat eine Stimme und eine Sprache. Auch die Begegnungen, die wir schon „seit Millionen Jahren“ hatten, sind ein schlechtes Beispiel. Unsere Vorfahren waren an der Persönlichkeit nicht sonderlich interessiert, sondern vor allem, ob sie der Begegnung standhalten wollten oder ihr besser aus dem Weg gingen. Selbst, wenn wir das Szenario herunterschrauben, ist immer noch die Frage: „Gut, sie ist ein Weibchen, also nicht sonderlich bedrohlich – aber wie bereit ist sie, sich zu paaren?“
Wir modernen Menschen haben keinesfalls verlernt, einander auf die ersten Blicke hin einzuschätzen – aber wir tun dies nicht anhand von Fotos. Wir benötigen den Blick in die Augen, wir nehmen fast unsichtbare Bewegungen der Gesichtsmuskulatur wahr, wir hören auf die Stimme und achten auf die Gesprächsführung.
Um es einmal überspitzt zu sagen: Anhand von Fotos werden Eskortfrauen ausgewählt, die einen bestimmten Eindruck vermitteln müssen und die dies für zwei bis drei Stunden auch durchhalten.
Natürlich sind Fotos wichtig – sie zeigen, ob die Person willens und in der Lage ist, sich in irgendeiner Weise positiv zu präsentieren – und falls der Fotograf clever war, hat er ein bestimmtes Merkmal des Aussehens oder des Charakters betont. Aber das ist auch schon alles.
Lassen Sie sich nicht verblüffen: Die meisten Informationen, die an Ihr Ohr und Auge dringen, sind frei erfundene Mitteilungen, die in irgendeiner Nachrichtenschmiede in „Fakten“ umgearbeitet werden. Der Trick funktioniert ganz offensichtlich. Und manchmal ist es eben so, dass wir (und auch ich) uns für „dumm verkaufen“ lassen – und dann halten wir Tinder und Co. eben für die Partnersuche, die die Menschheit seit Jahrmillionen betreibt und auch in Zukunft immer betreiben wird.
(1) nach einem Artikel im „Business Insider„
Bild: Striktes © 2015 by Gebhard Roese